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Wirtschaft

Deutscher Pflegenotstand

Eine Umfrage unter 3300 Mitarbeitern von Krankenhäusern und Pflegeheimen zeigt, wie knapp die Personaldecke wirklich ist. Nicht einmal die rechtlichen Standards werden in allen Fällen eingehalten

Die Menschen werden immer älter, das Geld aus den Sozialkassen muss für immer mehr Pflegebedürftige reichen – und es gibt deutlich zu wenige Kranken- und Altenpfleger, um ihre Versorgung zu übernehmen: Laut Bundesagentur für Arbeit kommen derzeit auf 100 freie Stellen nur 46 Bewerber.

Und die Lücke wird größer: Wirtschaftsforschungsinstitute schätzen, dass bis zum Jahr 2025 deutlich mehr als 100.000 ausgebildete Pfleger fehlen werden. Entsprechend gibt die Regierung regelmäßig Absichtserklärungen aus, die Arbeitsbedingungen müssten sich verbessern, damit Pflege zum attraktiven Beruf werde. An der Umsetzung hapert es jedoch. Krankenhausstationen und Pflegeheime sind nach wie vor drastisch unterbesetzt. Die Folge: Die dort angestellten Pfleger können sich kaum darauf verlassen, regelmäßig freie Tage und Urlaub nehmen zu können. Sie dürfen demnach häufig keinen Einfluss auf die Gestaltung des Dienstplans nehmen. Die Regel ist außerdem, dass sie kurzfristig einspringen müssen, um Löcher in der knapp gestrickten Personaldecke zu schließen.

Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), die der „Welt“ vorab vorliegt. Knapp 3300 Teilnehmer – Pflegekräfte unter anderem aus Krankenhäusern, Pflegeheimen und der ambulanten Pflege – nahmen an der Befragung teil, die von Februar bis April dieses Jahres lief. 96 Prozent aller Befragten, rund drei Viertel von ihnen Frauen, sagten: Mindestens ein bis zweimal pro Monat müssten sie kurzfristig einspringen, um Lücken zu füllen, nachdem zum Beispiel Kollegen erkrankt seien – laut Pflegeverband ein Resultat aus einer vielerorts deutlich zu dünnen Personaldecke. Ein Drittel der Befragten muss der Befragung zufolge drei- bis fünfmal pro Monat kurzfristig einspringen, fast jeder Zehnte quasi wöchentlich.

Für die Pfleger bedeutet dies, dass sie ihre Freizeit kaum planen können. „Solche kurzfristigen Änderungen verstoßen gegen geltendes Recht: Der Arbeitgeber hat mit Veröffentlichung des Dienstplans sein Direktionsrecht ausgeübt und muss danach eben auch rechtskonforme Lösungen zur Kompensation von Ausfällen parat haben“, sagt Berufsverbands-Sprecherin Johanna Knüppel.

Die Anspruchshaltung vieler Arbeitgeber, dass das Personal jederzeit kurzfristig verfügbar sein müsse, habe unter anderem zu einer steigenden Zahl belastungsbedingter psychischer Erkrankungen, Frühverrentung und Berufsflucht geführt, so Knüppel. Um auf dieses Problem aufmerksam zu machen, hat der Verband zum heutigen Donnerstag eine Initiative mit dem Titel „Mein Recht auf frei“ gestartet. Bei der Deutschen Stiftung Patientenschutz hält man die Ergebnisse der Befragung für alarmierend. „Würdige Pflege braucht würdige Arbeitsplätze. Das haben die Arbeitgeber bis heute nicht begriffen“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Dass die Personaldecken vielerorts derart dünn seien und Pfleger so häufig einspringen müssten, liege an einem Versagen des Gesetzgebers: Seit Jahren, sagt Brysch, „eiert die Bundesregierung dabei herum“, einen verbindlichen Personalschlüssel in der Pflege einzuführen. „Frühestens 2012 will Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hier Mindeststandards einführen. Das ist zu spät. So machen wir Pflegeberufe unattraktiv“, sagte Brysch.

In der Bundesregierung verweist man bei Nachfragen zu diesem Thema für gewöhnlich darauf, dass eine vergleichsweise gute Personalausstattung in Krankenhäusern seit ein paar Monaten finanziell gefördert wird: Das Pflegestellen-Förderprogramm war einer der Bestandteile der Krankenhausreform, die zum 1. Januar in Kraft trat. In diesem und den kommenden beiden Jahren sind bis zu 660 Millionen Euro als Sonderzahlungen an Kliniken eingeplant, die zusätzliches Personal einstellen. Rein rechnerisch, räumte allerdings der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU) im Herbst ein, reiche dies maximal für zwei Stellen pro Jahr und Krankenhaus. Zum Vergleich: In einem Krankenhaus arbeiten im Schnitt 161 Vollzeitpfleger.

Der Gesundheitsökonom Reinhard Busse, Professor an der TU Berlin, sagt, das Problem der Unterversorgung von Krankenhausstationen mit Pflegern ließe sich recht einfach lösen: Indem man überflüssige Kliniken schließe und „alle Krankenpfleger, die es heute in Deutschland gibt, auf deutlich weniger Kliniken verteilen würde“. Ein weiteres Ergebnis der Befragung des Pflegerverbandes ist, dass vielerorts der Dienstplan generell erst sehr kurzfristig geschrieben werde. 40 Prozent der Befragten sagten, erst zwei Wochen vor Dienstantritt oder sogar noch kürzer würden ihnen die Schichten zugeteilt. Gleichzeitig sagten zwei Drittel der Teilnehmer, dass sie wenig oder gar keinen Einfluss auf die Gestaltung des Dienstplans hätten – und fast zwei Drittel gaben an, Schichten gar nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten mit Kollegen tauschen zu können. Zwei Drittel empfinden diese arbeitsorganisatorischen Abläufe als Belastung, weil ihr Privatleben dadurch unplanbar werde und Erholungszeiten fehlten.

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