Mit einem Teilnehmerrekord endete am Freitag in Berlin der Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit. Für drei Tage waren insgesamt 8.400 Entscheider aus dem deutschen Gesundheitswesen zur größten Branchenveranstaltung zusammengekommen, um sich zu gesundheitspolitischen Fragen auszutauschen. Auch im Hinblick auf die Zahl der Vorträge war der 21. Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit eine Veranstaltung der Superlative: In mehr als 150 Einzelveranstaltungen traten rund 600 Referentinnen und Referenten auf. Das Leitthema beim diesjährigen Hauptstadtkongress lautete „Digitalisierung und vernetzte Gesundheit”.

„Regulierung und Finanzierung neuer digitaler Medizin im deutschen Gesundheitswesen ist ein Problem“

In seiner Eröffnungsrede wies Bundesgesundheitsminister Jens Spahn darauf hin, dass eHealth weltweit auf einem unaufhaltsamen Vormarsch sei. „Die Angebote sind da oder kommen: Amazon, Google, Dr. Ed“, sagte Spahn und fügte hinzu: „Es ist die Frage: Gestalten wir das oder kommt das von außen?“ Spahn hob hervor, dass mittlerweile weniger die technischen Möglichkeiten noch ein Problem seien, sondern vor allem die Regulierung und Finanzierung neuer digitaler Medizin im deutschen Gesundheitswesen. In einer Videobotschaft kritisierte auch SAP-Gründer Hasso Plattner, dass die scharfen gesetzlichen Regelungen in Deutschland „den Einsatz digitaler Innovationen hemmen“.

Themenbereiche Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Deep Learning und Big Data gut besucht

Während des gesamten Kongresses waren Veranstaltungen zu den Themenbereichen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Deep Learning und Big Data sehr gut besucht. Dabei ging es beispielsweise um die Frage, ob zur Finanzierung digitaler Versorgungsleistungen neben den Budgets für den stationären und den ambulanten Sektor noch ein eigenes Digitalbudget erforderlich ist, wie Experten fordern. Es war auch Thema, wie die Digitalisierung den Praxisalltag niedergelassener Ärzte verändert und verändern wird. Ebenso waren neue, digitale Recruiting-Methoden zur Gewinnung von Arbeitskräften in den Mangelberufen der Pflege und bei Ärzten Gegenstand einer Session.

Krankenhäuser: Fachkräftemangel wird zum Problem – Digitalisierung kann helfen

Selbst der Krankenhaus Rating Report 2018, der auf dem Hauptstadtkongress der Öffentlichkeit präsentiert wurde, kam an der Digitalisierung nicht vorbei: Zwar geht es den deutschen Krankenhäusern im Durchschnitt wirtschaftlich deutlich besser als in den Vorjahren. Der Fachkräftemangel wird aber mehr und mehr zu einem Risiko für die Versorgung. „Arbeitssparende technische Innovationen werden immer wichtiger, um Ärzte und Pflegepersonal zu entlasten”, erklärte Prof. Dr. Boris Augurzky das Ergebnis seiner Untersuchung, nach der bei gleichen Rahmenbedingungen wie heute bis 2025 voraussichtlich zusätzlich 80.000 Vollkräfte in den medizinischen Diensten der Krankenhäuser und weitere 80.000 Pflegefachkräfte in der Altenpflege benötigt werden.

Parteien diskutieren

In einer Diskussionsrunde der gesundheitspolitischen Sprecher aller sechs Bundestagsfraktionen verteidigte Sabine Dittmar von der SPD das Sofortprogramm der Bundesregierung für die Pflege, das die Finanzierung von 13.000 zusätzlichen Stellen in der Pflege vorsieht. Sie räumte allerdings vor dem Hintergrund des herrschenden Fachkräftemangels ein: “Mir ist klar, dass eine finanzierte Stelle noch keine besetzte Stelle ist.”

Ist der Gemeinsame Bundesausschusses noch zeitgemäß?

Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses zeigte sich angesichts der vom Bundesverfassungsgericht angestoßenen Debatte um die demokratische Legitimation des Gremiums offen dafür, neben Krankenkassen, Ärzten und Krankenhäusern weitere Akteure einzubinden. “Man muss darüber diskutieren, ob die Zusammensetzung des G-BA noch zeitgemäß ist”, so Josef Hecken auf dem Hauptstadtkongress. In einer anderen Veranstaltung wurde die Konstruktion des G-BA und der Gemeinsamen Selbstverwaltung noch grundsätzlicher in Frage gestellt. Prof. Dr. Reinhard Busse von der TU Berlin formulierte seine Kritik so: “Die begrenzte staatliche Kontrolle über das Gesundheitssystem führt dazu, dass der Gesetzgeber die gleichen Akteure mit Lösungen von Problemen beauftragt, welche sie selbst überhaupt erst geschaffen haben.”

GKV-Versicherten-Entlastungsgesetz

Intensiv diskutiert wurden auch die Pläne der Bundesregierung für ein GKV-Versicherten-Entlastungsgesetz, die ein Abschmelzen der finanziellen Rücklagen bei den Kassen vorsehen. Aus Sicht der Vorstandsvorsitzenden des Verbands der Ersatzkassen ist dies nur möglich, wenn zuvor der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich reformiert wird. Ulrike Elsner: “Unter den bestehenden Morbi-RSA-Bedingungen würden sich damit die ohnehin schon massiven Wettbewerbsverzerrungen in der GKV weiter verstärken. Denn Fehlstellungen im Morbi-RSA sind der Grund dafür, dass die Finanzreserven der Kassen heute sehr unterschiedlich verteilt sind.” Prof. Dr. Jürgen Wasem vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesversicherungsamt legte auf dem Hauptstadtkongress dar, dass beim Morbi-RSA – anstatt nur 80 Krankheiten zu berücksichtigen – ein Vollmodell Grundlage sein sollte.

Der Hauptstadtkongress 2019 findet vom 21. bis 23. Mai 2019 im Berliner CityCube statt.

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