Heilung um jeden Preis – wie teuer darf Medizin sein?

Der Faktencheck zur Sendung vom 30.05.2016

Eine Spritze  für 50.000 Euro – neue Medikamente sind oft extrem teuer. Zu teuer für unser Gesundheitssystem? Darf bei Hoffnung auf Heilung Geld eine Rolle spielen? Und müssen Ärzte bald darüber entscheiden, für welche Patienten sich so viel Aufwand lohnt?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und lässt einige Aussagen von Experten bewerten. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Wolf-Dieter Ludwig über das Hepatitis-C-Medikament Sovaldi

Der Krebsspezialist Wolf-Dieter Ludwig hält den hohen Preis für das Hepatitis-C-Medikament "Sovaldi" für unethisch. Das Unternehmen mache hohe Gewinne mit dem Wirkstoff, obwohl es kein eigenes Geld in dessen Entwicklung investiert habe.

Tatsächlich wurde der in Sovaldi enthaltende Wirkstoff Sofosbuvir vom Biotech-Unternehmen Pharmasset entwickelt. Die Grundlagen hierfür wurden zuvor an der britischen Universität Cardiff erforscht. Das US-amerikanische Pharmaunternehmen Gilead kaufte das kleine Biotech-Unternehmen im Jahr 2012 für rund elf Milliarden Dollar. Seither streicht Gilead mit dem Medikament hohe Gewinne ein. Die Preisgestaltung des Unternehmens brachte sogar den US-Senat auf den Plan. 18 Monate lang untersuchte eine Kommission unter der Leitung der US-Senatoren Ron Wyden und Chuck Grassley die Preispolitik von Gilead. Für ein Radiofeature des Bayerischen Rundfunks fasst Ron Wyden das Ergebnis der Untersuchung zusammen: “Es gab keinen konkreten Hinweis in irgendeinem der Dokumente, in E-Mails, Besprechungs-Protokollen oder Präsentationen, dass grundlegende wirtschaftliche Faktoren wie Entwicklungskosten oder der milliardenschwere Kaufpreis für die Firma Pharmasset, die das Medikament zunächst entwickelt hat, eine Rolle dabei gespielt hätten, wie Gilead den Preis festgelegt hat.“ Immer wieder wird Gilead für die Mondpreise von Sovaldi zum Teil heftig kritisiert. So wirft die Organisation "Ärzte der Welt" dem Unternehmen Zynismus vor, wenn es den Preis mit niedrigeren Therapiekosten im Vergleich zu einer Lebertransplantation rechtfertigt.

Karl Lauterbach über Arzneipreise

Karl Lauterbach (SPD) sagt, eigentlich seien die Herstellungskosten eines Medikamentes gering. Seiner Ansicht nach machen das Marketing und die hohen Gewinne mindestens die Hälfte dieser Preise aus. Das hält er für unethisch. Hat er Recht?

Zum Teil gibt der Gesundheitsökonom Prof. Reinhard Busse Karl Lauterbach Recht. "Selbst ohne Berücksichtigung des Marketings betragen die Gewinne bei einigen Unternehmen bis zu 50 Prozent. Für 2014 lagen sie beispielsweise für den Sovaldi-Hersteller Gilead bei 52 und bei Valeant bei 34 Prozent." Bei anderen Unternehmen lagen sie zwar niedriger, aber immer noch deutlich höher als in anderen Branchen. Bei Roche beispielsweise 26 Prozent, bei Novartis 25 Prozent und bei Merck 24 Prozent, so Busse. Beim Branchenprimus Pfizer lag diese Quote im Jahr 2013 bei 42 Prozent, so der Gesundheitsökonom.

Prof. Afschin Gandjour bestätigt, dass Profite und Marketingausgaben durchschnittlich mehr als 50 Prozent des Preises ausmachen. Er gibt zu bedenken, dass Profitstreben und hohe Marketingausgaben grundsätzlich fester Bestandteil unseres marktwirtschaftlichen Systems sind: "Wenn wir also Wettbewerb als probates Mittel zur Steigerung von Arzneimittelinnovationen akzeptieren, müssen wir auch das Profitstreben von Arzneimittelherstellern akzeptieren. Andernfalls müsste die Arzneimittelentwicklung planwirtschaftlich organisiert werden." Zudem würden die Profite der Unternehmen partiell in Forschung reinvestiert und führten darüber hinaus auch zu mehr Beschäftigung und höherem Steueraufkommen. Gandjour sieht aber Grenzen: "Exzessive Profite und Preise für Medikamente, zu deren Entwicklung der Hersteller nur geringfügig bis gar nicht beigetragen hat, können in der Tat als unethisch betrachtet werden." Überhöhte Preise könnten dazu führen, dass die begrenzten Mittel der Kassen nicht für die Behandlung anderer Patienten ausreichen und sie somit indirekt einen Schaden erleiden, befürchtet Gandjour.

Wolf-Dieter Ludwig über Krebsmedikamente

Wolf-Dieter Ludwig sagt, teure Krebsmedikamente - wie unser Beispiel “Opdivo“ - seien heutzutage keine Ausnahme mehr. Inzwischen bewegten sich die Therapiekosten für Krebsmedikamente zwischen 40.000 und mehr als 100.000 Euro pro Jahr. Stimmt das?

"Ja", bestätigt Reinhard Busse. Für Krebsmedikamente gelte heute die so genannte 10.000-Dollar-Regel: "Das heißt, die Pharmakonzerne peilen einen Therapie-Preis von knapp unter 10.000 Dollar pro Monat an. Bezogen auf das Jahr ergeben sich somit 120.000 Dollar." Früher seien die Preise noch mit den angeblich hohen Entwicklungskosten begründet worden, sagt Busse. Später – und zum Teil auch noch heute – mit gewonnener Gesundheit. So würden in den USA Therapiekosten von 100.000 Dollar pro gewonnenes Lebensjahr als akzeptabel gelten. Diese Akzeptanz liege beispielsweise in Großbritannien mit ca. 44.000 bis 60.000 Dollar deutlich darunter, so der Experte. "Heute wird meistens der Preis der Mitbewerber herangezogen – und das sind bei Krebs dann eben rund 10.000 Dollar pro Monat", sagt Busse.

"Diese Aussage ist korrekt", sagt auch Afschin Gandjour von der Frankfurt School of Finance and Management. "Jahrestherapiekosten für Krebsmedikamente, die ab 2011, also nach Einführung der obligatorischen Preisverhandlung zwischen pharmazeutischen Herstellern und Kassenverband auf den Markt gebracht wurden, liegen in nur wenigen Fällen unterhalb von 40.000 Euro", sagt der Gesundheitsökonom. Laut Gandjour rechtfertigen Pharmaunternehmen die hohen Preise allerdings auch heute noch typischerweise mit den Kosten für Forschung und Entwicklung neuer Medikamente. Dabei seien diese Kosten weitestgehend unabhängig von der Zahl der betroffenen Patienten. Gleichzeitig aber sei die für neue Krebsmedikamente infrage kommende Patientengruppe - mit Hunderten bis wenigen Tausenden in Deutschland - in der Regel relativ klein. "Wenn also die Entwicklungskosten fix sind, die für ein Medikament infrage kommende Patientengruppe aber klein ist, resultieren durch die erforderliche Umlage hohe Kosten pro Patient", so der Experte für Arzneimittelpreise.

Gandjour nennt einen weiteren Grund für die Profitmaximierung der Pharmaunternehmen, der nicht in Zusammenhang mit Forschungs- und Entwicklungskosten steht: "Den profitstrebenden Unternehmen kommt entgegen, dass es in der Bevölkerung eine breite Unterstützung für die Behandlung von Krebsleiden gibt. Daher lassen sich bei Krebserkrankungen auch höhere Preise durchsetzen als bei Medikamenten für vergleichbar schwere Erkrankungen wie der Herzmuskelschwäche."

Stand: 31.05.2016, 12:25 Uhr