Medizin in Deutschland:Land der fragwürdigen Operationen

Operation in Klinik

Geht es ums Geld oder liegt es am demografischen Wandel? In Deutschland wird immer häufiger operiert.

(Foto: llhedgehogll - Fotolia)

Wieso wird in Deutschland mehr operiert als in anderen Ländern? Während die Kassen finanzielle Gründe vermuten, verweisen die Krankenhäuser auf den demografischen Wandel. Nun liegt ein Gutachten zu dem Streitthema vor.

Von Guido Bohsem, Berlin

Kann es sein, dass mein Arzt eine Operation nicht nur aus medizinischen Gründen empfiehlt? Kann es sein, dass es auch finanzielle Gründe gibt, die ihn dazu bewegen, ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk zu empfehlen? Solche Fragen können bei Patienten Beklemmungen und Ängste auslösen. Klar ist, in Deutschland wird deutlich mehr operiert als in anderen Industrieländern. Klar ist auch: In den vergangenen Jahren ist die Anzahl der Fälle noch einmal deutlich angestiegen.

Warum das so ist, darüber streiten sich die Krankenkassen mit den Krankenhäusern seit Jahren. Während die Kassen argwöhnen, dass in den Krankenhäusern aus finanziellen Gründen immer mehr operiert wird, weist die Krankenhausgesellschaft das empört zurück. Sie verweist auf das steigende Durchschnittsalter der Gesellschaft und die dadurch zunehmende Anzahl der Krankheiten.

Um die Auseinandersetzung zu entschärfen, beauftragte die schwarz-gelbe Koalition die beiden Streitparteien im vergangenen Jahr damit, gemeinsam ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag zu geben. An diesem Donnerstag soll die Untersuchung des Hamburger Professors Jonas Schreyögg und seines Berliner Kollegen Reinhard Busse nun veröffentlicht werden. Der Süddeutschen Zeitung liegt das Gutachten schon vor.

1,3 Millionen mehr Operationen in fünf Jahren

Die zentralen Ergebnisse der Wissenschaftler sind allerdings nicht so eindeutig, wie sich die beiden Konfliktparteien es wünschen würden. Tatsächlich stellen die Professoren zwischen 2007 und 2012 einen deutlichen Anstieg der Fallzahlen fest (plus 1,3 Millionen). Der Anstieg ist zudem auch höher als der in anderen Ländern wie Frankreich, Dänemark und der Schweiz. Die Anzahl der Operationen stieg zudem an den Tagen Montag bis Freitag zwischen sechs und 16 Uhr besonders stark an.

Tatsächlich bemerkten die Wissenschaftler einen sehr starken Zusammenhang: Krankenhausärzte wurden häufiger tätig, weil die Bevölkerung insgesamt kränker wurde. Dieses Ergebnis stimmt allerdings nur, wenn es um Landkreise geht. Auf ganz Deutschland bezogen ließ sich der Zusammenhang zwischen älter werdender Gesellschaft, kränkeren Menschen und höheren Fallzahlen jedoch nicht beobachten. Das Argument der Krankenhäuser verlöre also an Gewicht.

Doch auch die Position der Krankenkassen wird von den Gutachtern nicht voll gestützt. Zwar stellten Schreyögg und Busse fest, dass sich die Anzahl der Fälle erhöht, wenn die entsprechenden Fallpauschalen (DRG) besser bezahlt werden. "Nimmt das DRG-Gewicht um ein Prozent zu, führt das kausal zu einer Veränderung der Fallzahlen um 0,2 Prozent", heißt es in der Präsentation. Einschränkend fügen die Wissenschaftler jedoch hinzu, dass sie dies für eine "normale Marktreaktion" halten. Sprich, die Krankenhäuser reagieren auf Preisveränderungen auch nicht sensibler als andere Marktteilnehmer.

Viel wichtiger noch: Die Wissenschaftler konnten im Rahmen ihrer Forschung nicht erkennen, ob die steigenden Fallzahlen nicht doch auf medizinische und nicht auf finanzielle Gründe zurückgehen. Um diesen und andere Zusammenhänge aufzuklären, sei weitere Forschung notwendig.

Offiziell wollten sich weder Krankenhausgesellschaft noch der Spitzenverband der Krankenkassen zu den Ergebnissen des Gutachtens äußern. Auf Kassenseite hieß es allerdings, dass die Untersuchung zeige, dass ökonomische Einflussfaktoren auf die Therapieentscheidung klar nachweisbar seien. Die Gutachter plädieren dafür, diesen Verdacht auszuräumen und die Leistungen in Zukunft weniger nach den technischen Erfordernissen zu bezahlen, sondern mehr nach der Diagnose durch den Arzt, und diese im Gegenzug stärker zu kontrollieren.

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