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Immer mehr Eingriffe. Wird in Deutschlands Kliniken zu häufig operiert?

© dpa

Studie zu unnötigen Eingriffen im Krankenhaus: Je höher der Preis, desto öfter wird operiert

Eine neue Studie erhärtet einen lang gehegten Verdacht: Viele Operationen lohnen sich eher für das Krankenhaus als für den Patienten. Allein zwischen 2007 und 2012 ist die Zahl der stationären Fälle in deutschen Kliniken um 8,4 Prozent gestiegen.

Letztgültige Beweise für den schlimmen Verdacht liefert auch die neue, groß angelegte Studie nicht. Doch Indizien dafür, dass in deutschen Krankenhäusern zu viel, zu schnell und oft nur wegen des Geldes operiert wird, finden sich auf den 165 Seiten, die nun vom Hamburger Center for Health Economics und der TU Berlin zur „Mengenentwicklung“ in den Kliniken vorgelegt wurden, zuhauf. Der starke Anstieg der Behandlungszahlen und vor allem der von besonders teuren Eingriffen, so lautet ihr Resümee, lasse sich weder durch die Alterung der Gesellschaft noch durch höhere Krankheitsanfälligkeit oder Behandlungsbedürftigkeit der Bürger erklären.

Bandscheibe, Knie und Hüfte

Allein zwischen 2007 und 2012 ist die Zahl der stationären Fälle in deutschen Kliniken um 8,4 Prozent gestiegen (von 17,2 auf 18,6 Millionen). Und was die Krankenkassen vor allem beunruhigt: der Boom betrifft vor allem planbare Leistungen und besonders teure Eingriffe. So stieg die Zahl der Bandscheiben-Operationen seit 2005 um mehr als 58 Prozent. Und bei Knie- und Hüftgelenk-OPs liegt Deutschland mit 286 beziehungsweise 207 Eingriffen pro 100 000 Einwohner international ebenfalls ganz oben. Im Schnitt aller OECD-Länder greifen die Chirurgen hier nur halb so oft zum Skalpell.

Um der Sache auf den Grund zu gehen und den Dauerstreit über „Notwendig oder nur geschäftstüchtig“ zu entschärfen, gaben die Spitzenverbände von gesetzlicher und privater Krankenversicherung gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) Mitte 2013 oben genannte Untersuchung in Auftrag. Und auch wenn die Gesundheitsökonomen Jonas Schreyögg (Hamburg) und Reinhard Busse (Berlin) am Ende sehr vorsichtig bleiben und über ein „komplexes Geflecht von nachfrage- und angebotsseitigen Ursachen“ schwadronieren – eine interessante Auffälligkeit haben sie allemal nachgewiesen. Ihre Beobachtung: Sobald sich der Wert für eine Fallpauschale erhöht, die Kliniken also für bestimmte Eingriffe mehr Geld erhalten, steigt auch die entsprechende Fallzahl.

Bei einer Preissteigerung um zehn Prozent habe die durchschnittliche Mengenausweitung im Folgejahr zwei Prozent betragen, heißt es in der Studie. Andersherum gilt dasselbe: Bei sinkenden Preisen sinkt die Fallzahl. Dies könne „kausal interpretiert werden“, schreiben die Autoren – es gibt aus ihrer Sicht also einen klaren Zusammenhang.

Klinikbetreiber: Kein Beleg für unnötige Operationen

Daraus könne aber „nicht abgeleitet werden, dass die Kliniken nicht notwendige Behandlungen erbringen würden“, beharrt DKG-Präsident Alfred Dänzer. Wenn Klinikleistungen höher bewertet würden, sei dies nur der Ausgleich für höhere Kosten, es sage „nichts über Ursache und Wirkung aus“. Neue, bessere und teurere Behandlungsmethoden führten nun mal auch zu Fallzahlsteigerungen. Und trotz intensiver Analysen hätten die Gutachter „keine Evidenz für die Erbringung nicht notwendiger medizinischer Leistungen aus ökonomischen Gründen feststellen können“.

Tatsächlich schreiben die Forscher nur, es könne „noch nicht ohne Einschränkungen die Schlussfolgerung gezogen werden, dass ein Teil der Veränderung der Fallzahlen hätte vermieden werden müssen“. Man habe aber „Defizite in der Steuerung der Krankenhausversorgung aufgedeckt“. Und was medizinisch notwendig war, konnte die Ökonomen gar nicht ergründen: Die dafür nötigen Daten wie Diagnosen oder Behandlungsprotokolle standen ihnen nicht zur Verfügung.

Der SPD-Politiker Karl Lauterbach sieht sehr wohl den Beweis erbracht, „dass manche Operationen häufiger vorgenommen werden, sobald ihre Vergütung lukrativer wird“. Und Jens Spahn (CDU) stellt schon mal zur Debatte, ob man für bestimmte Eingriffe nicht „grundsätzlich“ das Einholen einer ärztlichen Zweitmeinung vorgeben solle.

Zu viele Krankenhäuser?

Auch die Kassen fühlen sich bestätigt. Notfälle seien „für deutlich weniger Fallzahlsteigerungen verantwortlich als bisher angenommen“, sagt GKV-Spitzenverbands-Vize Johann- Magnus von Stackelberg. Qualität müsse künftig fester Bestandteil der Vergütung werden, fordert er. Bei den Preisen müssten neben den Kosten auch die „Produktivitätsgewinne je Fall“ Berücksichtigung finden. Außerdem gebe es „zu viele kleine Krankenhäuser“. Eine Strukturbereinigung sei überfällig.

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