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Wenn Kliniken von unnötigen Operationen profitieren

Problemfall Krankenhaus: Die neue Reform bringt „ungefähr zwei Pfleger pro Klinik im Jahr“ Problemfall Krankenhaus: Die neue Reform bringt „ungefähr zwei Pfleger pro Klinik im Jahr“
Problemfall Krankenhaus: Die neue Reform bringt „ungefähr zwei Pfleger pro Klinik im Jahr“
Quelle: Getty Images
Die Krankenhausreform soll den Pflegenotstand in Deutschlands Kliniken lindern. Doch wieder einmal haben sich die Lobbyisten durchgesetzt. Deshalb bleiben die größten Probleme weiter ungelöst.

Eigentlich hätte Helga Meichsner (Name geändert) an diesem Abend längst Feierabend gehabt. Weil aber so viele ihrer Kollegen krank waren und die Personaldecke ohnehin dünn war, arbeitete sie weiter und machte nach 13 Stunden im Dienst den schlimmsten Fehler ihres Berufslebens.

„Ich war alleine für die Station zuständig, nur mit Unterstützung eines Praktikanten“, sagt Meichsner, die in einem kommunalen Krankenhaus in der Nähe von Frankfurt am Main arbeitet. Als dann noch eine schwer kranke 87-Jährige nach einer Magenblutung von der Intensivstation zu ihr verlegt wurde, vergaß Meichsner, das entscheidende Medikament auf ihren Plan zu schreiben: ein Mittel zum Magenschutz.

Wenig später bekam die alte Frau eine neue Magenblutung, was zu viel für ihren angeschlagenen Körper war. Die Patientin starb. Meichsner hatte die alte Dame zuvor schon vier Wochen auf ihrer Station gepflegt. Der Tod der Frau ging der Pflegerin sehr nahe, sie musste sich selbst lange krankschreiben lassen.

Viele Krankenpfleger in Deutschland sind überlastet. Patienten leiden darunter, und manchmal sind die Folgen dramatisch. Der Grund dafür ist eine unheilvolle Mischung: Zum einen müssen die Klinikbetreiber mit den knappen Ressourcen haushalten, die sie von Krankenkassen und Bundesländern zugeteilt bekommen – und unter dem Strich auch noch Gewinn machen.

Zum anderen gibt es kein Gesetz, das einem Krankenhausbetreiber vorschreibt, wie viele Pfleger er pro Station beschäftigen muss. Beides zusammen führt zum Pflegenotstand in Deutschlands Kliniken.

Im hinteren Mittelfeld

Daran wird wohl auch die Bundesregierung so schnell nichts ändern. Im vergangenen Jahr hat sie zwar eine Reform verabschiedet, das „Krankenhausstrukturgesetz“, das zum 1. Januar in Kraft getreten ist. Diese Reform, verspricht die Regierung, verbessere die Krankenhausversorgung und sorge für mehr Pflegekräfte am Krankenbett. Doch Fachleute kritisieren, dass sie wesentliche Probleme des Sektors ignoriert.

Medizinische Behandlung in der Zukunft

In Gebieten, in denen keine Klinik in der Nähe ist, könnte die medizinische Versorgung über das Internet aufrecht erhalten werden. In der Pfalz wird eine Behandlungsform der Zukunft gestestet.

Quelle: N24

„Es sind einfach viel zu viele Krankenhäuser am Markt“, sagt Reinhard Busse, Professor an der TU Berlin und einer der renommiertesten Gesundheitsökonomen. In Deutschland gibt es knapp 2000 Kliniken. Die gesetzlichen Krankenkassen zahlten 2014 rund 68 Milliarden Euro an sie – deutlich mehr als für alle anderen Bereiche des Gesundheitswesens. Die Ausgaben steigen Jahr für Jahr.

Doch obwohl es hierzulande mehr Krankenhausbetten pro Einwohner gibt als in den meisten anderen EU-Ländern, geht es den Patienten nicht besser. Laut einem internationalen Vergleich, den die Beratungsfirma KPMG 2013 veröffentlichte, liegt Deutschland in Europa bei der Qualität der Behandlungen und der Beachtung der Patientenrechte nur im hinteren Mittelfeld.

Pflegepersonal wurde kräftig abgebaut

Solche Zahlen beschäftigen auch den Mann, der in Deutschland für die Rechte der Patienten kämpfen soll. An einem Nachmittag im November sitzt Karl-Josef Laumann in der Lobby des Hotels „Radisson Blue“ in Berlin. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, politisch aktiv seit 1974, braucht für dieses Gespräch erst einmal einen Cappuccino.

Wenn Sie die 660 Millionen für drei Jahre auf jährliche Kosten für einen Krankenpfleger von etwa 50.000 Euro runterrechnen, dann sind das ungefähr zwei Pfleger pro Klinik im Jahr
Karl-Josef Laumann, Patientenbeauftragter der Bundesregierung
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„Das stimmt schon. Die Krankenhäuser haben in der Vergangenheit kräftig Pflegepersonal abgebaut“, sagt er. Er bekomme in seinem Job immer wieder mit, dass viele Pfleger gehetzt seien; und dass dies dazu führen könne, dass die Patienten oft nur noch als „Fälle“ betrachtet würden, die abgearbeitet werden müssten.

Die Frage ist, ob die „bis zu“ 660 Millionen Euro, die laut Gesetzestext bis Ende 2018 bereitgestellt werden sollen, ausreichen, damit die Krankenhäuser mehr Pfleger einstellen können. Laumann rührt in seinem Cappuccino und pustet hörbar Luft aus. „Uns ist schon klar, dass das allein sicherlich nicht reichen wird“, sagt er.

„Wenn Sie die 660 Millionen für drei Jahre auf jährliche Kosten für einen Krankenpfleger von etwa 50.000 Euro runterrechnen“, sagt er, hebt seine großen Hände und lässt sie demonstrativ wieder fallen, „dann sind das ungefähr zwei Pfleger pro Klinik im Jahr.“ Im Vergleich dazu, dass in einem Krankenhaus im Schnitt 161 Vollzeitpfleger arbeiten, ist das sehr wenig. Oppositionspolitiker sprechen von einem „Tropfen auf den heißen Stein“.

Es lohnt sich, unnötig Patienten aufzunehmen

Natürlich ist das Pflegestellenförderprogramm nur ein Baustein des Gesetzes – wenngleich es derjenige ist, von dem Laumann und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sich dem Vernehmen nach besondere Zustimmung unter den Wählern erhoffen.

Darum erhöhen Krankenkassen jetzt ihre Beiträge

Wer in der gesetzlichen Krankenversicherung ist, der muss ab diesem Jahr höhere Beiträge zahlen: Im Schnitt 0,2 Prozent. Zahlen muss den Zusatzbeitrag aber nur der Arbeitsnehmer.

Quelle: Die Welt

Insgesamt, erklärte Gröhe im Juni in einem Schreiben an die Fraktionsmitglieder der Regierung, gehe es bei der Reform darum, „die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige Krankenhaus-Versorgung sichergestellt werden kann“.

Wirtschaftsexperten zweifeln daran. Im Wettbewerb um das Geld der Krankenkassen lohne es sich für die Kliniken, unnötig Patienten aufzunehmen und zu operieren, sagen sie. Das führe zu steigenden OP-Zahlen und blase die Ausgaben für Krankenhausaufenthalte drastisch auf.

„Deutlich sinnvoller wäre es deshalb, wenn wir alle Krankenpfleger, die es heute in Deutschland gibt, auf deutlich weniger Kliniken verteilen würden. Damit wäre den Patienten am meisten geholfen“, sagt Ökonom Busse.

Abschläge nach schlechten Operationen

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Dass Krankenhäuser schließen, wird die Reform jedoch kaum bewirken. Das liege wohl daran, dass sich die Regierung von den Lobbyisten der Krankenhausbetreiber, der DKG, in die Knie habe zwingen lassen, vermutet Boris Augurzky, der den Bereich Gesundheit beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) leitet.

Im vergangenen Herbst hatte die DKG zu Protestaktionen in Kliniken bundesweit aufgerufen, Pfleger demonstrierten vor dem Brandenburger Tor. Anlass waren Pläne im damaligen Gesetzesentwurf, dass es bei minderer Qualität Abschläge von den Fallpauschalen geben solle. Im Grunde ging es um das, was die Ökonomen schon lange fordern: Krankenhäuser, die schlechter operieren als der Durchschnitt, auszusortieren und so letztlich den Markt zu bereinigen.

Warum soll es für schlechtere Leistungen als den Durchschnitt nur Abzüge geben? Wenn die Leistung eindeutig schlecht ist, darf es überhaupt kein Geld geben
Wilfried Jacobs, Forschungsinstitut für patientenorientierte Versorgungsablaufforschung (IPOV)

Die Interessenvertreter setzten sich jedoch weitgehend durch. Zwar steht im neuen Gesetz, dass Krankenhäuser künftig weniger Geld bekommen könnten, wenn sie zum Beispiel Hüften schlechter operieren als der Durchschnitt, weil es häufiger zu Komplikationen kommt. Aber um solche Einnahmeausfälle auszugleichen, sieht das Gesetz nun mögliche Ausgleichszahlungen vor.

So gibt es künftig mehr Geld von den Kassen für die Notfallambulanzen. Diese, so die Argumentation der Krankenhausmanager, seien bislang ein Verlustgeschäft, müssten aber natürlich dennoch betrieben werden.

Das zusätzliche Geld für Pfleger wird versickern

Die nun beschlossenen Finanzspritzen werden aber wohl erst recht dazu führen, dass auch schlechte Kliniken weiter existieren. Die Zahl der Krankenhäuser werde kaum sinken, sagt Busse – und das zusätzliche Geld für das Pflegestellenförderprogramm, also für mehr Pfleger, werde versickern.

Der Chef des Neusser Forschungsinstituts für patientenorientierte Versorgungsablaufforschung (IPOV), Wilfried Jacobs, sieht bei den Plänen für die Qualitätsabschläge ein noch generelleres Problem. „Warum soll es für schlechtere Leistungen als den Durchschnitt nur Abzüge geben? Wenn die Leistung eindeutig schlecht ist, darf es überhaupt kein Geld geben“, argumentiert er.

Schließlich könne eine Klinik sonst so kalkulieren: Wir stellen nur halb so viele Pfleger und Ärzte wie andere Kliniken auf unserer chirurgischen Station ein, bekommen wegen der vielen schiefgelaufenen OPs vielleicht nur 75 Prozent der durchschnittlichen Gelder von den Krankenkassen – aber machen unter dem Strich trotzdem einen guten Gewinn.

40 bis 50 Prozent aller Kliniken fahren Verluste ein

Relevant ist dieser Einwand im Zusammenhang mit einem anderen Punkt, den das neue Gesetz außer Acht lässt: Es gibt nach wie vor keine Vorschriften, wie viele Pfleger auf einer durchschnittlichen Station arbeiten müssen. Laumann sagt dazu beim Gespräch in der Hotellobby, er halte das nicht für sinnvoll.

Schließlich könne es sein, dass eine Klinik viel effizienter arbeite als eine andere und daher mit weniger Pflegern ebenso gut die Patienten versorgen könne.

Warum Krankenhauskeime tödlich sein können

Jährlich stecken sich bis zu 600.000 Patienten im Krankenhaus mit Keimen an. Für rund 15.000 Menschen endet eine Infektion tödlich. Dabei gelten knapp ein Drittel der Ansteckungen als vermeidbar.

Quelle: N24

Seine Argumentation stimmt mit der der Krankenhauslobby überein. Kein Klinikmanager habe Interesse daran, die Patienten schlecht zu versorgen, nur um Geld zu sparen, heißt es bei der DKG. Wenn Geschäftsführer Personal einsparten, dann nur, weil das Haushalten mit den knappen Mitteln nicht anders möglich sei.

Für die schlechte Finanzlage sind auch die Bundesländer verantwortlich. Sie müssen die Instandhaltungskosten für die Krankenhäuser zahlen. Die Länder kommen dieser gesetzlichen Investitionsverpflichtung aber nicht in vollem Umfang nach.

Laut Krankenhauslobby ist das einer der Hauptgründe, warum 40 bis 50 Prozent aller Kliniken Verluste einfahren und die verantwortlichen Manager diese durch Personaleinsparungen ausgleichen müssten – was wiederum auf den Rücken der Patienten ausgetragen werde, so wie im Fall der Krankenschwester Irene Meichsner.

Dauerstreit um Fallpauschalen

Auch dieses Problem lässt die Reform außer Acht. „Es bleibt dabei, dass die Bundesländer die Planung von Krankenhäusern im Rahmen der Daseinsvorsorge auch weiterhin durchführen und die notwendigen Mittel zur Finanzierung der Investitionen für die Krankenhäuser bereitzustellen haben“, schreibt das Bundesgesundheitsministerium.

Es gibt noch ein drittes Konstruktionsproblem des Krankenhaussektors – und auch dieses ist die Regierung nur zögerlich angegangen: die Fallpauschalen. Die Summe, die eine Krankenkasse an eine Klinik überweist, zum Beispiel für eine Hüft-OP, ist innerhalb eines Bundeslandes immer gleich groß.

Dabei ist weitgehend egal, wie viele Vorerkrankungen der Patient hat – und damit also auch, wie viel Pflegeaufwand er verursacht. Das aber, sagt zum Beispiel die Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, Hedwig François-Kettner, sei ein Problem. „Bei hohem Aufwand besteht die Gefahr, dass Patienten abgewiesen werden oder nicht ausreichend sicher versorgt werden können.“

Es darf nicht passieren, dass alte, schwer kranke Menschen an der Krankenhauspforte abgewiesen werden, weil sie sich nicht lohnen. Es darf keine Rosinenpickerei geben
Karl-Josef Laumann, Patientenbeauftragter

Das bedeutet, dass Krankenhäuser die Aufnahme alter, besonders kranker Menschen, die möglicherweise gefüttert werden müssen und inkontinent sind, vermeiden können. Solche Patienten machen schließlich für die gleiche Geldsumme mehr Arbeit als jüngere, bei denen sich die Probleme auf die Hüfte beschränken.

Das sagt auch IPOV-Chef Wilfried Jacobs. „Zwar ist es sicher nicht das Gros der Kliniken, das Patienten aus diesem Grunde nicht aufnimmt – aber manche tun es eben doch.“

Zu viele Baustellen

Ein politisch konstruiertes System, das manchen Bürgern mehr schadet als nützt? „Es darf nicht passieren, dass alte, schwer kranke Menschen an der Krankenhauspforte abgewiesen werden, weil sie sich nicht lohnen. Es darf keine Rosinenpickerei geben“, sagt der Patientenbeauftragte Laumann.

Deshalb habe die Regierung als Bestandteil der Krankenhausreform eine Expertenkommission eingesetzt. Sie soll bis Ende 2017 Vorschläge erarbeiten, wie man die verschiedenen Krankheitsbilder und die Pflegekosten besser in den Fallpauschalen abbilden kann. Zum Beispiel sollen Kliniken dann für einen Demenzkranken mit einer Hüft-OP mehr abrechnen dürfen als für einen sonst gesunden Patienten.

Konkrete, umsetzbare Ergebnisse wird es aber frühestens 2018 geben – obwohl dies nach Einschätzung der meisten Fachleute neben der hohen Zahl der Kliniken das wichtigste Handlungsfeld ist.

Warum hat die Bundesregierung nicht jetzt schon die Fallpauschalen überarbeiten lassen? Laumann hebt die schweren Schultern und lässt sie demonstrativ wieder fallen. Es gebe eben nach wie vor eine Reihe von Baustellen im deutschen Krankenhaussektor, sagt er. „Die Regierung kann doch nicht mehr tun, als sie eine nach der anderen anzugehen.“

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