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FOCUS Magazin | Nr. 25 (2020)
MEDIZIN: Corona und der deutsche Vorteil
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    In der Pflanze steckt keine Gentechnik
    Aber keine Sorge: Gentechnish verändert sind die
Zeigt die Pandemie, dass Deutschland möglichst viele, auch kleine Kliniken braucht? Der Gesundheitsforscher Reinhard Busse sagt: nein, ganz im Gegenteil

Mehrmals jährlich gibt die Bertelsmann-Stiftung Studien heraus, die für gesellschaftliche und wirtschaftliche Reformen werben. Aber als „die“ Bertelsmann- Studie gilt im Gesundheitswesen nur eine. Sie erschien im Juli 2019. Ihr Schluss lautete, die Zahl der Akutkrankenhäuser in Deutschland ließe sich von aktuell knapp 1400 auf deutlich unter 600 reduzieren, wobei die Versorgungsqualität der Patienten noch steigen könne. Das saß. Bis Jahresende hielten die scharfen Reaktionen an. Die Studie propagiere „die Zerstörung von sozialer Infrastruktur“, urteilte etwa die Deutsche Krankenhausgesellschaft. Gleichwohl schließen in der Bundesrepublik Jahr um Jahr zahlreiche, meist kleinere Kliniken.

Dann kam das Coronavirus und mit ihm die Sorge, ob die Zahl der Klinikbetten für die erwarteten Patienten reichen würde. Täglich waren die freien und belegten Intensivbetten (zuletzt 11 000 beziehungsweise 21 000) zu melden. Berlin etwa verwandelte eine Messehalle in eine - bis heute ungenutzte - Notklinik. Mittlerweile scheint wenigstens die erste Covid-19-Welle abgeebbt zu sein. Täglich werden weniger als 50 Tote gemeldet, knapp jeder dritte Landkreis registriert keine Neuinfektionen mehr, und Deutschland weist eine im internationalen Vergleich geringe „Übersterblichkeit“ (s. Grafik unten) auf.

Ist damit die Bertelsmann-Studie widerlegt und als „Kampagne gegen kleine Krankenhäuser“ (Nordrhein- Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann) entlarvt?

» Gesundheitsämter und Praxen haben uns vor Verhältnissen wie in italienischen Krankenhäusern bewahrt «Reinhard Busse, Technische Universität Berlin

Im Gegenteil, sagt einer der für die Bertelsmann- Studie konsultierten Experten, der Berliner Gesundheitsökonom Reinhard Busse. Dass Deutschland von chaotischen Verhältnissen wie in italienischen Krankenhäusern verschont geblieben sei, verdanke es vielmehr der Tatsache, dass besonders wenige Infizierte in die Kliniken gekommen seien.

Seine Vergleichszahlen entnimmt Busse, 57, einer von ihm betriebenen Datenbank, in die tagesaktuelle Corona-Werte aus 16 europäischen Ländern eingehen. Demnach sei rund ein Fünftel der Infizierten in Deutschland im Krankenhaus behandelt worden, in Großbritannien hingegen ein Drittel, in Spanien die Hälfte und in Frankreich 70 Prozent. In Frankreich erfolgten außerdem anfänglich vier von fünf Virustests in Kliniken, was die Ausbreitung möglicherweise begünstigte. Tatsächlich liegen aus West- und Südeuropa Berichte vor, die nahelegen, dass sich viele erst in der Klinik ansteckten.

Deutschlands Erfolgsrezept sieht Busse auch darin, dass sich schnell der Wille durchsetzte, Infizierte, aber auch Verdachtsfälle zu isolieren. Ärzte mit eigener Praxis erhielten Anfang März vom Robert Koch-Institut einen Leitfaden, der ihnen empfahl, Patienten ambulant zu betreuen und sie nur dann stationär einzuweisen, wenn es wirklich medizinisch geboten war. In dem Fall aber kamen die Patienten in Deutschland ziemlich rasch auf die Intensivstation.

Ein „Corona-Taxi“ fuhr zu den Patienten

Vielerorts gab es die Möglichkeit, sich im „Drive-through“-Verfahren im Auto sitzend testen zu lassen. Infizierte erhielten Hausbesuche. In Heidelberg fuhren Mediziner im „Corona-Taxi“ von Fall zu Fall. Nur vereinzelt drängten verunsicherte Bürger in die Krankenhäuser.

Wichtiger als viele Klinikbetten seien auch die Gesundheitsämter. Die bemühten sich „bei Bedarf rund um die Uhr, Kontaktpersonen von Infizierten zu finden und unter Quarantäne zu stellen“, sagt Busse. Er hält auch die hohe Zahl der Tests für entscheidend. Bislang wurden hierzulande Schleimhautproben von mehr als 4,3 Millionen Menschen ausgewertet, im Verhältnis deutlich mehr als anderswo. Eine Konsequenz: Negativ Getestete blieben den Kliniken fern, „Positive“, soweit ärztlich vertretbar, ebenfalls.

Deutschland hatte zwar mehr Vorbereitungszeit. Groß war der Vorsprung aber nicht. Die ersten Infektionen bei einem bayerischen Automobilzulieferer wurden am 28. Januar bekannt. Da waren in Italien, das bald deutlich schwerer betroffen war, offiziell so gut wie keine Fälle registriert.

Vergleiche innerhalb Italiens deuten auf grobe regionale Fehler hin. In der mit Abstand am schwersten gezeichneten Region, der Lombardei, brachte man Infizierte in Altenheime und ließ dort, wie auch in Kliniken, zu, dass Virusträger anderen Patienten begegneten. Mit Tests zögerte man. Das angrenzende Venetien, wo früher als in der Lombardei ein Covid-19-Patient starb, bekam die Lage nicht zuletzt durch Massentests besser in den Griff.

Die Deutschen blieben recht gelassen

Im März beschloss ein Staat nach dem anderen einen Stillstand. Das Fachjournal „Nature“ berichtete diese Woche, der Lockdown habe in elf untersuchten Ländern Europas (darunter Deutschland) 3,1 Millionen Leben gerettet.

Ungeachtet der „Skeptiker“-Demonstrationen gibt es Hinweise, dass die Deutschen die Ausnahmesituation recht gut verkrafteten. Wissenschaftler aus Wien werteten Abertausende TwitterÄußerungen aus den ersten fünf Wochen der Pandemie nach ihrem emotionalen Gehalt aus und verglichen sie nach Ländern. Überall nahm die Angst zu. Die Tweets aus Deutschland aber wurden schon nach zwei Wochen gelassener, so Forscherin Hannah Metzler. „Der Ärger über die Restriktionen hielt sich in Grenzen. Von Traurigkeit über die Isolation war bei den deutschen Twitter- Nutzern vergleichsweise am wenigsten zu erkennen.“

action press, S. Boness/Ipon, dpa

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