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Wie erreichen wir eine bessere Krankenhausqualität? / dpa

Deutsches Gesundheitssystem - Die Schwachstellen unserer Krankenhäuser

Das deutsche Gesundheitssystem gilt international als besonders gut. Doch trotz aller Erfolge legte die Coronapandemie die Schwachstellen unserer Krankenhäuser offen. Wir dürfen nicht dem Trugschluss erliegen, die Anzahl von Betten sei ein Qualitätsmerkmal.

Reinhard Busse

Autoreninfo

Reinhard Busse ist Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Management der Technischen Universität Berlin.

So erreichen Sie Reinhard Busse:

Das eigene nationale Gesundheitssystem als besonders positiv wahrzunehmen, ist eine weit verbreitete Sichtweise. Nicht nur in Deutschland. Sie findet sich in Frankreich ebenso, wie in Spanien oder Großbritannien. Darum sollte uns auch ein vergleichsweise besserer Verlauf der Coronapandemie in Deutschland nicht dazu verleiten, unser System als das bestmögliche zu sehen. Zu offensichtlich traten die Schwachstellen zutage. Zu groß ist nun sogar die Gefahr, nun die falschen Schlüsse ziehen, insbesondere für andere Krankheiten, die nicht plötzlich Pause machen.

So scheint etwa in der Diskussion um ausreichend viele Intensivbetten die Qualität von Krankenhäusern inzwischen fast nur noch an der Anzahl der Betten gemessen zu werden. Die Diskussion um Krankenhaus-Qualität droht damit um Jahre zurück geworfen zu werden und sogar zum Opfer von Covid-19 zu werden. Das wäre umso ärgerlicher, als die Krise bestimmte Schwächen insbesondere des Krankenhaussystems offenbart hat:

Schädlicher Krankenhaus-Wettbewerb

So betrachtet die Politik Krankenhäuser noch immer als im Wettbewerb miteinander befindliche Institutionen, die im Prinzip selbst bestimmen können, welche Leistungen sie erbringen (und übrigens auch, wie viele Schutzmasken sie auf Vorrat kaufen) und nicht als „Krankenhaussystem“. Besonders augenfällig war dies, wenn das Kartellamt Fusionen zwischen Krankenhäusern untersagt hat, die dem Wohle des Patienten durch bessere Abstimmung, wer was macht, gedient hätten, ihm aber weniger „Wahl“ gelassen hätten.

In der Krise wird nun klar, dass Kooperation und Koordination nicht nur erlaubt sein sollten, sondern dringend notwendig sind – auf nationaler wie auf internationaler Ebene. So darf etwa nicht vergessen werden, dass die Initiative zum Intensivbettenregister von Ärztinnen und Ärzten ausging und nicht von der Politik.

Weniger Krankenhäuser, mehr Qualität

Die Krankenhausversorgung und -qualität muss künftig von der Bevölkerung her, nicht vom einzelnen Krankenhaus gedacht werden. Wir wissen, wir haben pro Tag einen Herzinfarkt pro 160.000 Einwohner (500 Fälle am Tag in Deutschland) und pro Woche eine neu an Brustkrebs erkrankte Frau pro 60.000 Einwohner (knapp 1400 in Deutschland).

Ein Herzkatheter und Kardiologen rund um die Uhr brauchen eine bestimmte Anzahl an Patienten – ebenso ein Brustkrebszentrum. Technische und personelle Vorgaben und Mindestmengen sind also die erste wesentliche Voraussetzung für Qualität – sie sollten verpflichtend vorgegeben sein. Das würde zu einer Reduzierung der Krankenhauszahlen führen, aber zu mehr Qualität.

Kein Geld für keine Qualifikation

Jeder Bürger sollte erfahren, dass diese von einem Krankenhaus auch eingehalten wird. Deshalb sollten Krankenhäuser ihre Qualitätsentwicklung öffentlich für alle darlegen müssen. Nicht in erster Linie, damit Patienten sich das ihrer Meinung nach beste Krankenhaus aussuchen. Sondern, um insgesamt zu einer kontinuierlichen Qualitätsverbesserung zu animieren. Auch die Pisa-Studie machen wir nicht, damit Eltern die Schule für ihre Kinder wählen, sondern um unsere Schulen insgesamt zu verbessern.

Dazu sollte das Vergütungssystem angepasst werden. Keiner sollte Geld erhalten, wer für die Behandlung eines Patienten gar nicht ausreichend qualifiziert ist – also etwa ein Krankenhaus ohne Stroke Unit für einen Schlaganfallpatienten. Dann kann man auch über Zuschläge für besonders gute Qualität nachdenken, etwa wenn überdurchschnittlich viele Patienten nach einer Hüft-OP wieder schmerzlos laufen können. Dann würden wir auch endlich die oft zu beobachtenden Indikationsausweitungen begrenzen.

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Ernst-Günther Konrad | Mi., 20. Mai 2020 - 07:27

Da gehe ich mit Ihnen Herr Busse. Das muss aber eben auch regionale Gegebenheiten, Einzugsgebiete, Alterstrukturen, Personal und letztlich die Patienten berücksichtigen.
Ich kann die nationalen Gesundheitssystem nicht miteinander vergleichen. Und ich will das auch gar nicht.
Für mich ist entscheidend, dass sog. med. Notfälle zeitnah qualifiziert zugeführt und behandelt werden und ausreichen Rettungspersonal, Pfleger und Ärzte in DE vorhanden sind, bei angemessener Entlohnung. Ob die Politik lernt? Ich bezweifele es. Nach Corona muss gespart werden. Wo fängt man da an? Natürlich am Personal und an der Ausstattung. Es stellt sich die Frage, sehe ich mal von der Notfallmedizin ab, muss jede routinemäßige OP an jedem Krankenhaus sein? Macht es zumindest in Ballungsgebieten nicht Sinn, diese zentral anzubieten. Dort wächst Erfahrung, ist Qualität möglich. Aber wie soll das ein Bankkaufmann wissen? Der kommt aus der Zahlenwelt und denkt zuerst in Euros, nicht in Krankenleistung.

Reinhard Benditte | Mi., 20. Mai 2020 - 14:59

Was in den meisten Krankenhäusern und den ärztlichen Praxen herausragt, sind hervorragende Mediziner und ein gewissenhaftes Pflegepersonal in den Krankenhäusern. Die Krankenhäuser selbst sind ein Desaster bedingt durch die Vorgaben der Politik, die Einsparungsarie im Gesundheitswesen und die Anforderungen an die Profitabilität der (privaten) Eigentümer.

Die hervorragenden Mediziner schaffen das Bild , dass Hr. Busse beschreibt: „Das eigene nationale Gesundheitssystem als besonders positiv wahrzunehmen, ist eine weit verbreitete Sichtweise.“

Mit seiner Aussage „Das würde zu einer Reduzierung der Krankenhauszahlen führen, aber zu mehr Qualität.“ liegt Hr. Busse falsch. Eine Reduzierung der Krankenhauszahlen wird nicht zu mehr Qualität führen. Mehr Qualität wird man nur erreichen, wenn man die Prozesse verbessert, die IT Durchdringung drastisch erhöht, die Anzahl des (gut ausgebildeten) Pflegepersonals erhöht und Hilfskräfte dem Pflegepersonals zur Unterstützung beistellt.

Hervorragende Mediziner habe ich im deutschen Krankenhauswesen noch keine getroffen, aber einige Pflegekräfte sind in der Tat bemerkenswert fähig. Andere weniger.

Die wohlfeile Klage über Einsparungen im Gesundheitswesen sollte man endlich ad acta legen. Der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandprodukt steigt steig an (2006: 10,4%, 2018: 11,7%), ebenso die inflationsbereinigten Ausgaben je Einwohner.

Reinhard Benditte | Mi., 20. Mai 2020 - 15:00

Und ich möchte noch einen Punkt hinzufügen: Die Anzahl des medizinischen Personals wurde reduziert und muss wieder aufgestockt werden; die Ärzte, die teilweise aus dem Ausland angestellt, sprechen nicht immer ausreichend deutsch, um sich den Patienten gegenüber verständlich zu machen - ein weiterer Faktor, der sich negativ auf die Qualität auswirkt!

Meine Empfehlung an Hr. Busse: Besuchen Sie doch einmal die Baptist Hospitals in Florida oder die Spitzenkrankenhäuser in Chicago! Dann können Sie den Unterschied zu den deutschen Krankenhäusern erkennen und warum die Qualität dort wesentlich besser ist als in den deutschen Krankenhäusern!

Albert Schultheis | Do., 21. Mai 2020 - 10:28

Und schon legen die Rationalisierer ihre Axt wieder am Krankenhaussystem an. "Nicht Quantität sondern Qualität!" ist ihre Devise, dabei soll die herausragende Qualität nur wieder den Wenigen und den mit Geld um sich schmeißenden Kunden aus dem Orient zugute kommen. Dabei war es nicht die "ach so kluge Hand der Kanzlerin", sondern gerade und ausschließlich die Quantität an Betten, die Merkel und uns allen während Corona den A**** gerettet hat. Wenn es in der Vergangenheit nach Merkel und ihren Rationalisierern gegangen wäre, wären wir in Deutschland dagestanden wie Bergamo. Unser "Corona-Glück" ist allein der Ineffizienz der Rationalisierer bzw der Robustheit unseres Krankenhaussystems zu verdanken, das sich deren Eifer widersetzt hat.

Heidemarie Heim | Do., 21. Mai 2020 - 16:01

Natürlich ist ein dauerhaftes, immer wieder überprüfendes und mit dem Beseitigen festgestellter Mängel beauftragtes Qualitätsmanagement unabdingbar für jeden Betrieb. Doch in der Vergangenheit und bis heute besteht ein Mangel daran. Ein einfaches Beispiel ist die Anwesenheit eines sogenannten Hygienebeauftragten in jedem Haus, der unabhängig möglicher Sparpotentiale und zeitlich angemessen seine Aufgabe, z.B. die
Bekämpfung und Beseitigung oft tödlicher Keimbelastungen (MRSA usw.) wahrnehmen kann. In den Niederlanden wird kein Patient auch Notfall aufgenommen bzw. kommt in Nähe der Normalstation ohne Test oder wird damit belastet einfach wieder in sein Pflegeheim zurück entlassen. Dieser Beauftragte hat ferner zuerst im Blick, ob die vorhandene Personalstärke überhaupt ein steriles Arbeiten im vorgegebenen Zeitrahmen möglich macht. Was eine Versorgung der Fläche betrifft, so erleben wir immer wieder das vom KH Rettungskräfte abgewiesen werden bzw. zu lange Anfahrtszeiten haben!