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Fast jede zweite Klinik schreibt Verluste: Experten setzen Notruf ab: Braucht Deutschland eine Krankenhaus-Revolution?
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Zu viele Krankenhäuser, zu wenig Fachkräfte: Das Risiko im OP-Saal steigt.
Pixabay Zu viele Krankenhäuser, zu wenig Fachkräfte: Das Risiko im OP-Saal steigt.
  • FOCUS-online-Redakteur

Wir haben zu viele Krankenhäuser mit zu vielen leeren Betten. Jedem zehnten Krankenhaus in Deutschland droht die Pleite, 40 Prozent sind defizitär: Deutschlands Krankenhäuser siechen dahin – aber auch viele Patienten. Der Bundesrechnungshof schlägt jetzt Alarm.

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2017 haben die Deutschen erstmals mehr als eine Milliarde Euro pro Tag ins Gesundheitswesen gesteckt. 2019 waren es insgesamt schon 407 Milliarden Euro, fast zwölf Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Allein Krankenhäuser und stationäre Einrichtungen bekommen laut Bundesgesundheitsministerium insgesamt über 230 Milliarden Euro im Jahr. Bei den gesetzlichen Krankenversicherungen gehen über ein Drittel der Ausgaben an die Krankenhäuser.

Doch wie gehen diese hohen Summen mit der schlechten Betreuung in Krankenhäusern einher? Warum muss man in der Notaufnahme in einem städtischen Krankenhaus stundenlang warten? Wieso klagen Krankenschwestern und die Ärzteschaft über zu wenig Personal und zu viele Überstunden? Warum können viele Schlaganfall-Patienten auf dem Land nicht adäquat behandelt werden? Und ist es lebensgefährlich, in Dänemark oder Schweden ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, weil dort die Gesundheitsausgaben pro Kopf viel niedriger sind?

Deutschland hat mit den USA das teuerste Gesundheitssystem der Welt, aber beide haben nicht das beste. Im Gegenteil: Trotz des vielen Geldes sinkt die Qualität. Und das auf Kosten der Patienten.

„70 Prozent der Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs nicht entsprechend behandelt“

„Wir haben in Deutschland immer noch viel zu viele Krankenhäuser“, sagt Professor Reinhard Busse von der TU Berlin zu FOCUS Online. Busse ist einer der renommiertesten Gesundheitsökonomen der Republik. Laut Busse ist der Krankenhaussektor insgesamt zu groß und auf die zu vielen Häuser verteile sich zu wenig Personal, so dass in den einzelnen Kliniken zu wenig Fachkräfte gebe. Das berge große Gefahren, so Busse, gerade bei Patienten mit Herzinfarkt oder beispielsweise Bauchspeicheldrüsenkrebs: „70 Prozent der Patienten mit Bauchspeicheldrüsenkrebs werden nicht in entsprechenden Zentren behandelt“, sagt Busse. Die Sterblichkeit dieser Patienten sei dann doppelt so hoch.

Lesen Sie auch: „Bereits 20 Prozent machen großen Unterschied“ - Neidisch auf Nachbarn: Dänen sehen Immunität als Grund für Schwedens Corona-Erfolg

Die Vielzahl an Krankenhäusern und Betten wird also zum Qualitätsnachteil für Deutschland. Anders etwa die skandinavischen Länder. Beispiel Dänemark, wo genügend Fachärzte in jedem Krankenhaus arbeiten: Dort ist eine Pflegekraft in der Tagesschicht nur für drei bis vier Patienten zuständig, bei uns ist das Verhältnis eins zu zehn. Dänemark hat 260 Krankenhaus-Betten pro 100.000 Einwohner, Deutschland 806, Schweden 234. Masse statt Klasse, lautet das deutsche Motto.

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Busse: „Im Krankenhaus gilt bei uns ‘Nähe vor Qualität‘ statt ‘Qualität vor Nähe‘ wie in Dänemark.“ Anders als für Politiker ist es für Gesundheitsexperten wie Reinhard Busse nicht von Vorteil, wenn sich in Wurfweite eines jeden Bürgers ein Krankenhaus befindet: Was aber machen die Dänen nun besser? „Patienten werden nur dort behandelt, wo Krankenhäuser technisch und personell mit Fachärzten rund um die Uhr ausgestattet sind", sagt Busse: „Und entsprechend ausgestattet können sie nur sein, wenn es genug Patienten gibt, um dies zu rechtfertigen. Und wo Einzugsbereiche zu groß werden, müssen Hubschrauber eingesetzt werden, die in Dänemark auch nachts fliegen.“

Dänemark hat sich den Umbau seines stationären Gesundheitswesens in einem jahrelangen Diskussionsprozess hart erarbeitet und viel investiert. Deutschland hingegen gibt sich selbstzufrieden. Auch in der Corona-Krise brachte die Unterauslastung der Krankenhäuser keinen Vorteil, meint Professor Busse: „Bis Ende Mai gab es in bei uns 34.000 stationäre Covid-Fälle mit je rund 14 Tagen Aufenthalt, also insgesamt 500.000 Bettentagen. Tatsächlich waren nie mehr als drei Prozent der Betten gleichzeitig dafür in Nutzung. Und leider lagen dann noch viele Patienten in kleinen Häusern und mussten - in einem kritischen Zustand - aus diesen ungeeigneten Häusern verlegt werden.“

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Jan Böcken von der Bertelsmann-Stiftung fasst den Sachstand knapp zusammen: „Die Experten sind sich einig: Die Krankenhauslandschaft ist geprägt von Überkapazitäten und unzureichender Spezialisierung. Die gegenwärtige Versorgung ist nicht nur aufgebläht und teuer: Die Patienten werden auch viel schlechter versorgt als nötig.“

EU-Kommission: Klare Vision für das deutsche Gesundheitssystem fehlt

So haben wir in Deutschland seit vielen Jahren zu viele Krankenhäuser mit jeweils wenig Personal. Die EU-Kommission konstatiert in ihrem Gesundheitsbericht für Deutschland: „Es gibt mehr Krankenhausbetten pro Einwohner als in jedem anderen EU-Land, und die Zahl der Ärzte und Krankenpfleger pro Einwohner liegt deutlich über dem EU-Durchschnitt. Interessanterweise sind die Arzt-pro-Bett- und Krankenpfleger-pro-Bett-Quoten aufgrund der ungewöhnlich hohen Zahl an Krankenhausbetten vergleichsweise niedrig.“

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Die EU-Kommission empfiehlt der Bundesregierung: „Um in mehreren wichtigen Reformbereichen Verbesserungen zu erzielen, bedarf es möglicherweise der Formulierung einer klareren Vision für die Zukunft der Entwicklung des Gesundheitssystems durch den Gesetzgeber […]. Andernfalls könnte es schwierig sein, das Gesundheitssystem zu einer besseren Integration von Leistungen zu bewegen, die Überversorgung der stationären Leistungen zu reduzieren, die Krankenhauskapazitäten umzustrukturieren und in ländlichen Gebieten einen gleichwertigen Zugang zu gewährleisten.“

Weltmeister bei Hüftgelenken und unterschlagene Fördergelder bei Intensivbetten

Die Träger der rund 2000 deutschen Krankenhäuser konkurrieren um jeden Patienten und müssen ihre Betten möglichst gut auslasten, um rentabel zu bleiben. Und es sind viel zu viele Träger, die da im Krankenhausbetrieb mitmischen: die privaten Klinik-Konzerne, Länder, Städte, Kreise, Kirchen, Rotes Kreuz und viele andere. So treibt der Konkurrenzkampf um zu wenig Patienten bisweilen absurde Blüten.

Die Betreiber schicken zwar keine Schlägertrupps los, um die Zahl der Beinbrüche und Milzrisse in Deutschland künstlich zu erhöhen. Aber die deutschen Krankenhäuser haben andere Wege gefunden, damit der Rubel rollt. Beliebt ist etwa das künstliche Hüftgelenk.

Nirgendwo auf der Welt werden laut OECD so viele Hüften generalüberholt wie in Deutschland: rund 400.000 Stück im Jahr, davon sind etwa die Hälfte Hüftprothesen. Und jedes Jahr müssen rund 35.000 Kunstgelenke wieder ausgewechselt werden, weil sie nicht so lange halten wie geplant.

Knie-, Schilddrüsen-, Eierstockoperationen, viel Röntgen und teure Kernspintomografien bringen auch noch Geld, geht aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor. Die Patienten werden so lange ans Bett gefesselt, wie die jeweilige Fallpauschale es eben hergibt. Im europäischen Vergleich sind die deutschen Patienten besonders bettlägerig. Gerechnet auf einen Einwohner liegt die Zahl der Bettentage bei 1,75 Tagen, in Dänemark bei 0,6.

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Da kamen die Hilfsgelder in der Corona-Krise manchen Krankenhäusern gerade recht, um die angespannte Finanzlage aufzubessern. Überflüssige Betten wurden rasch als Intensivbetten deklariert, für das es einen Zuschuss vom Bund in Höhe von 50.000 Euro gab. 40.000 neue Intensivbetten wollte das Gesundheitsministerium in der Krise schaffen. Das hat geklappt. Aufgrund einer Recherche des ARD-Politikmagazins „Kontraste“ wurden allerdings rund 7300 Betten zu viel gemeldet. Fördergelder in Höhe von rund 365 Millionen Euro sind so unter den Matratzen fiktiver Intensivbetten verschwunden. Ein stummer Hilferuf notleidender Krankenhäuser?

Bundesrechnungshof: Krankenhaus-Förderung der Länder ziellos und unwirtschaftlich

Im September hat nun endlich der Bundesrechnungshof (BRH) Alarm geschlagen: 40 Prozent der deutschen Krankenhäuser schreiben Verluste, für jedes zehnte besteht erhöhte Insolvenzgefahr. Laut BRH kommen die Bundesländer ihrer Verpflichtung zur Übernahme der Investitionsmittel für die Krankenhäuser nur unzureichend nach: Die Förderlücke beläuft sich auf vier Milliarden Euro pro Jahr. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist in Deutschland für die Finanzierung der Betriebsmittel in den Krankenhäusern verantwortlich und die Länder für die Investitionskosten und die Krankenhausplanung. Doch auch mit der Planung hapert es, laut BRH.

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Der BRH legt in seinem Bericht daher nahe, den Ländern die Krankenhauskompetenzen per Grundgesetzänderung zu entziehen, sonst könnte man kaum grundlegende Verbesserungen erzielen: „Qualitätsaspekte für die Krankenhausplanung wenden Länder nur teilweise an. Bundesweit gibt es keine einheitlichen Maßstäbe, aus denen sich herleiten lässt, inwieweit in der stationären Versorgung eine Über- oder Unterversorgung besteht. Der tatsächliche Versorgungsbedarf ist nicht verlässlich belegt“, so die obersten Bundesrechnungsprüfer.

Aktuelle Anpassungen wie Schließungen von Krankenhäusern und Abteilungen sowie der Ab- und Umbau von Versorgungskapazitäten verliefen weitgehend ungesteuert, heißt es in dem BRH-Bericht: „Vielerorts bestehen personelle Engpässe bei ärztlichem und pflegerischem Personal, weil Personal auch in unwirtschaftlichen Einrichtungen gebunden wird.“ Die Förderung der Krankenhauslandschaft sei ziellos und unwirtschaftlich, so das vernichtende Urteil.

Bleiben Sie gesund!

Lesen Sie auch: Alle Meldungen zur Corona-Krise im Live-Ticker von FOCUS Online

 

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