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"Wir haben uns auf unserem Erfolg ausgeruht": Gelassenheit trotz steigender Fallzahlen: Lebt Deutschland jetzt in der Corona-Blase?
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dpa/Peter Kneffel/dpabild Hunderte Menschen sonnen sich neben der Isar, auf der Brücke stehen Polizisten.
  • FOCUS-online-Redakteur
Mittwoch, 26.08.2020, 19:18

Deutschland ist auf dem Weg in eine zweite Corona-Welle. Trotzdem bleiben Politik und Gesellschaft relativ entspannt. Der Gesundheitsökonom Reinhard Busse sagt: "Die globale Situation ist völlig aus dem Blick geraten." Schuld daran seien auch die dominanten Erfolgsmeldungen der letzten Monate. Leben wir gerade in einer rosaroten Corona-Blase?

FOCUS Online: Herr Busse, die Corona-Neuinfektionen steigen weltweit an - auch in Deutschland. Trotzdem sind hierzulande viele Menschen gelassen, wenn nicht gar desinteressiert. Schätzen wir die Virus-Gefahr gerade falsch ein?

Reinhard Busse: Die globale Entwicklung der Pandemie ist in Deutschland in Vergessenheit geraten. Als wir vor einigen Monaten dachten, am Höhepunkt der Pandemie zu sein, lag die Zahl der Neuinfektionen global bei „nur“ 80.000 - aktuell sind wir bei weit über 200.000. Während sich das Virus in der Welt also immer weiter ausgebreitet hat, entstand hierzulande das Gefühl, die Krise sei überwunden. Diese verzerrte Risikowahrnehmung ist jetzt, wo die Fallzahlen auch in Deutschland wieder steigen, ein Problem.

Corona in Deutschland: "Wir haben uns auf unserem Erfolg ausgeruht"

Hat es sich Deutschland in seiner Rolle als Vorzeigeland im Kampf gegen das Virus etwas zu bequem gemacht?

Busse: Der Erfolg der deutschen Corona-Politik hängt auch immer davon ab, mit welchen Ländern man sie vergleicht. Natürlich sind wir besser durch die Krise gekommen als beispielsweise Italien oder Spanien. Länder wie Dänemark, Norwegen oder Finnland haben die Krise bisher aber mindestens genauso gut oder sogar noch besser gemeistert. Durch den permanenten Vergleich mit den großen Krisenregionen Europas haben wir uns tatsächlich auf unserem Erfolg etwas ausgeruht.

Welche Auswirkungen hat unser Virus-Erfolg auf unser Gefahrenbewusstsein?

Busse: In Teilen der Gesellschaft ist die Risikowahrnehmung bezüglich Corona deutlich zurückgegangen. Aus meiner Sicht gibt es dafür zwei Ursachen. Erstens: Die persönliche Betroffenheit vieler Menschen in Deutschland durch das Virus ist sehr gering, weil sie weder Todesfälle noch schwere Krankheitsverläufe in ihrem engeren Bekanntenkreis erlebt haben.

Alle Infos zur Corona-Lage finden Sie hier: News zur Pandemie - Norwegen-Urlaubern droht Quarantäne - Mecklenburg-Vorpommern öffnet wieder für Tagestouristen

Zweitens ist auch die Kommunikation zu den Risikogruppen mies gelaufen. In einer Analyse, die wir bei 10.000 Covid-19-Patienten durchgeführt haben, waren 30 Prozent jünger als 60 Jahre alt; ein Viertel aller Beatmungs-Patienten war unter 60. In der Kommunikation der Politik und der Wissenschaft wirkte es aber meistens so, als ob nur Menschen einer Risikogruppe durch das Virus bedroht wären. Das ist natürlich falsch, aber im Bewusstsein der Menschen hat sich diese Annahme festgesetzt.

Steigende Fallzahlen wegen mehr Tests? "Das ist ein Trugschluss"

Häufig wird als Grund für die steigende Zahl der Neuinfektionen das erhöhte Testvolumen genannt. Was ist dran an dieser Behauptung?

Busse: Das ist ein Trugschluss. Natürlich steigt die Zahl der absoluten Fälle, wenn die Testkapazitäten erhöht werden. Worauf es aber ankommt, ist der Prozentsatz der positiven Tests an allen Tests. Eigentlich würde man erwarten, dass der Wert mit steigender Testkapazität sinkt, doch in Deutschland ist das momentan nicht der Fall – der Wert liegt aktuell wieder bei knapp 1 Prozent. Vor einigen Wochen lagen wir aber bereits deutlich unter diesem Wert, bei 0,6 Prozent. Über diese Zahl müsste man aus meiner Sicht deutlich mehr sprechen.

Während des Lockdowns hat sich die Gesellschaft hinter dem Leitbild „Flatten the curve“ versammelt. Einen solchen Schulterschluss gibt es in der Gesellschaft jetzt nicht mehr. Trägt auch das zu mehr Laissez-faire im Umgang mit Corona bei?

Busse: Ja, das glaube ich. Vor allem aber denke ich, dass der Blick auf unser robustes Gesundheitssystem leicht zu einer falschen Schlussfolgerung verleiten kann. „Flatten the curve“ hatte ja zum Ziel, die Kapazitäten unseres Gesundheitssystems nicht zu überlasten. Das ist gelungen. Die zusätzlichen Einheiten an Intensivbetten haben wir in Deutschland zu keinem Zeitpunkt benötigt, aber das lag natürlich auch an den politischen und gesellschaftlichen Anstrengungen, die unternommen wurden, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen.

Aus den freigebliebenen Kapazitäten im Gesundheitssystem ein geringeres Risiko für die Gesellschaft abzuleiten, halte ich für falsch.

"Vor allem die Gesundheitsämter bereiten mir Sorgen"

Wo sehen sie momentan die größte Gefahr mit Blick auf die steigenden Fallzahlen?

Busse: Vor allem die Gesundheitsämter und die Nachverfolgung der Infektionen bereitet mir Sorgen. Hierzu ein einfaches Rechenbeispiel. Wir haben ungefähr 400 Gesundheitsämter in Deutschland, wovon jedes Amt im Schnitt für 200.000 Menschen zuständig ist. Wenn wir also den kritischen Grenzwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in einer Region erreichen, heißt das, dass sich im Gebiet eines durchschnittlichen Gesundheitsamtes pro Woche 100 Neuinfizierte befinden.

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Das ist enorm viel, gerade wenn man überlegt, dass diese Personen womöglich an Feiern oder anderen Veranstaltungen teilnehmen und weitere Menschen anstecken. Ich brauche dazu keinen Taschenrechner, um festzustellen, dass die Gesundheitsämter in so einem Fall schnell an ihre Leistungsgrenzen stoßen. Eine vollständige Nachverfolgung wird in einem solchen Fall nicht möglich sein. Und was dann passiert, haben wir von April bis Juni erlebt, als das öffentliche Leben lahmgelegt wurde.

Wie lässt sich das Risikobewusstsein in der Gesellschaft wieder schärfen?

Busse: Zum Einen sollte die Politik stärker abwägen, in welchem Verhältnis Risiko und Nutzen bei einzelnen Lockerungen stehen. So ist der Nutzen, Kinder wieder in die Schulen zu schicken, unbestritten hoch. Wenn Urlauber in Massen ans Mittelmeer und in Risikogebiete fliegen, frage ich mich allerdings, ob die Relation noch stimmt.

Flickenteppich bei Corona-Regeln: "Es braucht dringend Einheitlichkeit"

Außerdem braucht es einheitlichere Regeln zwischen den Bundesländern. Häufig wird argumentiert, man könne sich dadurch besser auf die Infektionsgeschehnisse vor Ort einstellen. Aktuell müssten also, wenn es nach den Zahlen geht, die strengsten Regeln in Hessen gelten. Tun sie aber nicht.

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Der Flickenteppich zwischen den einzelnen Bundesländern sorgt unter den Bürgen zusätzlich für Unsicherheit und teilweise auch für Verdruss. Oftmals wirkt es so, als ob die persönlichen Präferenzen des jeweiligen Ministerpräsidenten oder Präsidentin darüber entscheiden, welche Regeln in einem Bundesland gelten. Hier bräuchte es dringend eine einheitlichere und engere Abstimmung.

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