In deutschen Kliniken ergeht es Covid-19-Patienten kaum besser als anderswo

Bundesweite Analyse zeigt: Ein Fünftel der stationär behandelten Corona-Patienten sterben, bei beatmeten Patienten sogar jeder Zweite.

Eine Krankenschwester legt auf der Isolierstation für Coronavirus-Behandlungen einer Klinik in Schwerin Schutzkleidung an, bevor sie ein Patientenzimmer betritt. Das Foto wurde im März aufgenommen.
Eine Krankenschwester legt auf der Isolierstation für Coronavirus-Behandlungen einer Klinik in Schwerin Schutzkleidung an, bevor sie ein Patientenzimmer betritt. Das Foto wurde im März aufgenommen.Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa

Berlin-Die Corona-Pandemie brachte es mit sich, dass das hiesige Gesundheitssystem viel gelobt wird. Schließlich steht Deutschland hinsichtlich der absoluten Fallzahlen, Testquoten und Krankenhauskapazitäten vergleichsweise gut da. Auf die Überlebenschancen der Menschen, die so schwer an Covid-19 erkranken, dass sie in einer Klinik behandelt werden müssen, wirken sich diese Vorteile aber offenbar nicht aus. Darauf lässt eine aktuell im Fachjournal Lancet Respiratory Medicine veröffentlichte Studie schließen.

Für die deutschlandweite Analyse haben Experten des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO), der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und der Technischen Universität (TU) Berlin die Daten von 10.000 Corona-Patienten ausgewertet, die zwischen dem 26. Februar und dem 19. April in insgesamt 920 Krankenhäusern in Deutschland aufgenommen worden waren. Die Auswertung ergab: Insgesamt starben in den Kliniken 22 Prozent der Covid-19-Patienten. Betrachteten die Forscher diejenigen Fälle separat, die beatmet werden mussten, lag die Sterblichkeit sogar bei 53 Prozent.

Grafik: BLZ/Galanty; Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK

„Damit ist die Quote ähnlich wie in Frankreich, wo einer Analyse zufolge 23 Prozent der stationär behandelten Corona-Patienten starben, aber besser als in Großbritannien, wo sie bei 39 Prozent liegt“, sagt Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin und Mitautor der Studie. Er räumt jedoch ein, dass internationale Vergleiche mit Vorsicht zu betrachten sind, weil sich unter anderem das Spektrum der behandelten Patienten unterscheidet.

So war in Deutschland der Anteil der älteren Menschen unter den beatmeten Patienten höher als in anderen Ländern. In der Studie zählte unter den beatmeten Patienten fast jeder Zweite in die Altersgruppe der 60- bis 80-Jährigen, 12 Prozent waren älter als 80 Jahre. Das hat vermutlich damit zu tun, dass die Kapazitäten für diese aufwendige Behandlung hierzulande nie erschöpft waren. In anderen Ländern kam es mitunter zu Engpässen und Ärzte mussten entscheiden, welche Patienten ans Beatmungsgerät kommen – und welche nicht.

Da mit dem Alter – unter anderem aufgrund von häufiger existierenden Begleiterkrankungen – die Chancen sinken, dass die Beatmungstherapie den Patienten rettet, könne man aus der Sterblichkeitsquote von 53 Prozent auch eine etwas bessere Qualität der Behandlung hierzulande herauslesen, sagt Reinhard Busse. Denn Zahlen aus Großbritannien zeigten, dass dort die Sterblichkeit der beatmeten Patienten derjenigen in Deutschland entspreche, der Altersdurchschnitt aber niedriger sei. „Man kann also auch betonen: Immerhin hat hierzulande fast die Hälfte der beatmeten Patienten überlebt“, sagt Busse.

Covid-19 ist ein gefährliche Erkrankung, an der auch bei guter Behandlung viele Menschen sterben.

Reinhard Busse, Professor für Management im Gesundheitswesen, TU Berlin

Dennoch zeigt die Studie, dass sich die Sterblichkeit offenbar nicht so sehr durch gute Ausstattung und gut ausgebildetes Personal senken lässt, wie man meinen könnte. Das ist aus Sicht des TU-Professors ein Indiz dafür, dass das neuartige Coronavirus sehr ernst genommen werden muss. „Covid-19 ist ein gefährliche Erkrankung, an der auch bei guter Behandlung viele Menschen sterben“, sagt der Experte.

Mit Blick auf eine zurzeit sich womöglich ankündigende zweite Welle, sei die Analyse andererseits aber auch beruhigend, sagt Busse. „Selbst auf dem Gipfel der ersten Welle Mitte März mit fast 6000 Neuinfektionen täglich waren die Kliniken hierzulande längst nicht ausgelastet. Auf den Intensivstationen zum Beispiel wurden maximal zehn Prozent der Kapazitäten in Anspruch genommen, insgesamt sogar maximal drei Prozent“, sagt der Experte.

Die Analyse liefere darüber hinaus Zahlen für künftige Planungen. Nun wisse man zum Beispiel, wie lange Beatmungsbetten für die Covid-Behandlung benötigt werden: Pro 100 stationäre Patienten sind es 240 Tage. „Diese Informationen sind hilfreich, wenn große Infektionscluster auftreten und es regional zu Versorgungsengpässen zu kommen droht“, sagt Busse. Insgesamt zeigten sie aber auch: „Die Kapazität der Betten und Beatmungsplätze hierzulande würde sogar für mehr als 30.000 Neuinfektionen pro Tag ausreichen – auch wenn man sich eine derartige Entwicklung gar nicht ausmalen möchte“, sagt der Experte.

Grafik: BLZ/Galanty; Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK

Bedenklich findet er die hohe Quote der Covid-19-Patienten, die von einem Krankenhaus in ein anderes verlegt werden mussten. In der Studie waren es 27 Prozent. Diese Verlegungen kamen offenbar vor allem deshalb zustande, weil die Patienten zunächst in einer Klinik waren, die keine Intensivstation und damit auch keine Beatmungsbetten hatte. „Das zeigt, dass es hierzulande offenbar viele Krankenhäuser gibt, die nicht über die notwendige Ausstattung verfügen“, sagt Busse, der bekannt ist für seine Kritik an der zersplitterten Kliniklandschaft in Deutschland und der sich für die Konzentration auf weniger, dafür aber spezialisierte und gut ausgestattete Einrichtungen ausspricht. Zurzeit gibt es deutschlandweit etwa 1400 Krankenhäuser. „Wir bräuchten aber nicht mehr als 500“, sagt Busse.

Claudia Spies, Direktorin der Klinik für Anästhesiologie mit Schwerpunkt operative Intensivmedizin an der Charité Berlin, findet die hohe Verlegungsquote ebenfalls bedenklich. „Dadurch kann sich die Behandlung verzögern, was letztendlich mehr tödliche Verläufe zur Folge hat, weil zum Beispiel Schäden an Organen entstehen“, sagt die Medizin-Professorin, die nicht an der Studie beteiligt war. Sie vermutet, dass vielerorts Patienten verlegt wurden, weil es an Ressourcen mangelte. „Die Behandlung von Beatmungspatienten ist sehr aufwendig“, sagt sie. Pflegekräfte müssten geschult sein, um die spezielle Lagerung der Patienten auf dem Bauch vornehmen zu können und die Kranken alle acht bis 16 Stunden zu wenden. „In vielen Häusern fehlen dafür die Kapazitäten“, sagt Claudia Spies. Auch auf ärztlicher Seite komme es auf Expertise an. Um schwere Lungenversagen gut zu behandeln, brauche man eigentlich jahrelange Erfahrung.

Männer sind bei Corona schlechter dran

In Berlin sei es daher richtig gewesen, im Rahmen des sogenannten Save-Konzepts bestimmte Krankenhäuser festzulegen, die sich auf schwere Covid-19-Fälle spezialisieren. Auf diese Weise sei es nicht so häufig zu Verlegungen gekommen und die Patienten konnten schnell adäquat behandelt werden. „In einer großen Stadt ist eine derartige Konzentration der Ressourcen natürlich auch einfacher zu realisieren als in einem Flächenland“, sagt die Intensivmedizinerin. Grundsätzlich sei die Telemedizin eine gute Option, um gemeinsam zu lernen. „Auf diese Weise können Experten Ärzte aus der Ferne bei der Behandlung schwerer Fälle unterstützen.“ Ob in Berlin mehr Covid-19-Patienten überlebt haben als anderswo, lasse sich aber noch nicht sagen. Die Auswertung der Daten dauere noch an.

Die Berliner Fälle werden vermutlich ein Phänomen widerspiegeln, das sowohl die aktuelle Lancet-Analyse als auch Studien in anderen Ländern fanden: Männer sind bei Corona schlechter dran. Der Studie zufolge müssen sie doppelt so häufig beatmet werden wie Frauen. Und 25 Prozent der Männer, die wegen Covid-19 ins Krankenhaus kamen, starben. Bei Frauen lag dieser Anteil bei 19 Prozent. Bislang gibt es nur Vermutungen darüber, wie diese Unterschiede zu erklären sind. „Es könnte daran liegen, dass das Verhalten von Männern insgesamt mehr Risiken für eine Infektion und schwere Verläufe birgt“, sagt Claudia Spies. Womöglich suchten sie auch später Hilfe oder seien unter den Senioren diejenigen, die mehr Kontakte haben, weil sie zum Beispiel die Supermarkteinkäufe erledigen. Vielleicht stecke aber auch eine physiologische Erklärung dahinter. Spies: „Zurzeit wird untersucht, ob Frauen vielleicht generell besser gegen Infektionen geschützt sind.“