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Berlin hat innerhalb kurzer Zeit ein ganz neues Behandlungszentrum für Corona-Patienten errichtet.

© Michael Kappeler/dpa

Deutschland hat zu viele Krankenhäuser: Kleine Kliniken schließen - für mehr OP-Qualität

Die Coronakrise zeigt, dass im Notfall schnell Extrabetten bereit stehen. Ein Grund mehr für die überfällige Konzentration auf wenige Großkliniken. Ein Gastbeitrag.

- Professor Andreas Lübbe ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt einer Palliativstation und einer onkologischen Schwerpunktklinik für Anschlussrehabilitation im Medizinischen Zentrum für Gesundheit (MZG) Westfalen

Die erste Welle der Corona-Pandemie scheint über unser Gesundheitswesen hinweggezogen zu sein. Zweifelsohne wird man jetzt analysieren, reflektieren und seine Lehren ziehen. Bisher fielen negativ die geringe Digitalisierung und Vernetzung der Akteure auf, unterbesetzte Gesundheitsämter und teilweise hinderliche föderale Strukturen, positiv die schnelle Anpassung an die neue Lage – und außerdem: leere Krankenhausbetten, leere Wartezimmer und ein deutlicher Rückgang von Fallzahlen, Diagnosen, Therapien.

War die Angst der Deutschen vor einer Ansteckung mit dem Virus wirklich so groß - oder zeigt sich in den geschrumpften Zahlen nicht vielmehr, dass die Inanspruchnahme von ärztlichen Leistungen in normalen Zeiten übertrieben ist? Nirgendwo gehen die Menschen so oft zum Arzt wie hier. Die Corona-Krise könnte zu mehr Vernunft geführt haben. Und vielleicht ist damit auch die Zeit gekommen, über grundsätzliche Veränderungen nachzudenken.

Krisen im Gesundheitswesen resultieren nicht nur aus plötzlich auftretenden Viruserkrankungen, sondern auch aus Fehlverteilungen, Über- und Unterversorgungen und Personalmangel. Aber von ausreichend vorhandenen und motivierten Pflegekräften hängt die Güte der Behandlung maßgeblich mit ab. Sie geben außer Pillen auch Zuwendung und Zuversicht, was elementar ist für die oft leidgeplagten und verunsicherten Menschen im Krankenhausbett.

Außerdem ist die Behandlungsqualität immer dann besonders gut, wenn es Erfahrung und Routine gibt. Schon seit Jahren verstoßen kleinere Krankenhäuser gegen die vom Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) vorgegebenen Qualitätsindikatoren, weil sie wenig Fälle je Behandlungsart aufweisen. Doch bisher hat das keine Konsequenzen.

Erfüllen sie die Mindestbehandlungszahl nicht, kann die Qualität ihrer Leistungen leiden. Mehr Menschen sterben, es kommt zu Komplikationen oder in der Onkologie zu Rückfällen. Patienten und Angehörigen bleibt das verborgen. Frauen mit Brustkrebs etwa werden in Deutschland in mehr als 800 Krankenhäusern behandelt, aber etwa 200 davon verzeichnen nur acht Fälle im Jahr, doch auch die geben sich als Experten auf dem Gebiet. Die Liste ließe sich fortführen.

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Gesundheitsökonomen wie Thomas Mansky von der TU-Berlin, Christof Veit vom IQTIG oder Reinhard Busse von der Fakultät Wirtschaft und Management der TU-Berlin plädieren seit Jahren dafür, Krankenhäuser und/oder stationäre Abteilungen zu schließen, die bestehende Qualitätsstandards und Mindestmengen nicht aufweisen. Auch der Rat der Sachverständigen zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen vertritt diese Auffassung. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung untermauert sie. Doch es passiert nicht.

Deutschland hat je nach Zählweise und Definition 2000 oder 1500 Krankenhäuser. Zwischen 300 und 500 davon sollten nach Ansicht von Experten geschlossen werden. Was würde das bedeuten? Es käme zu keinem Arbeitsplatzverlust, wenn das Personal stattdessen in größeren, besser ausgestatteten und breit aufgestellten Krankenhäusern mit vielen Fachrichtungen versetzt würde.

Wie lange darf der Weg zum nächsten Krankenhaus dauern? 30 Minuten? 45?

Daraus ergibt sich die nächste Frage. Was ist für Arbeitnehmer zumutbar, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen und zumutbar für Patienten, die schnell in ein Krankenhaus müssen? Der Gesundheitsminister von NRW, Karl Laumann, meint, in 30 Minuten müsse man ein Krankenhaus erreichen können. In anderen Ländern hält man es für zumutbar 45 bis 60 Minuten in eine Spezialeinrichtung zu fahren.

Wissen sie, was sie tun? In kleinen Krankenhäusern werden OPs oft zu selten durchgeführt, um dem Qualitätsansprüchen zu genügen. Bisher konsequenzlos.
Wissen sie, was sie tun? In kleinen Krankenhäusern werden OPs oft zu selten durchgeführt, um dem Qualitätsansprüchen zu genügen. Bisher konsequenzlos.

© dpa

In Deutschland ist die Regel, dass innerhalb von zehn Minuten eine Notfallversorgung durch den Rettungsdienst gewährleistet werden soll. In Ländern, in denen Krankenhäuser geschlossen worden sind, um mit mehr Personal in größeren Krankenhäusern besser arbeiten zu können, sind für die Notfallversorgung die Kapazitäten (Helikopter und besonders gut ausgestattete Notarztwagen) ausgeweitet worden. So kann man bereits vom Rettungswagen aus während der Fahrt zur Notfallambulanz die Kollegen dort per Telemedizin über den neuen Fall informieren. Patienten hätten dadurch keinen Nachteil. Herzinfarktpatienten würden sogar besser versorgt.

Es hat vor allem historische Gründe, dass es so viele Krankenhäuser in Deutschland gibt. Viele sind in den 70er Jahren wegen günstiger Finanzierungsbedingungen gebaut worden. Damals lagen die Patienten nach Herzinfarkten, Hüftoperationen und sogar Entbindungen ein bis zwei Wochen im Krankenhaus. Heute mobilisiert man Patienten bereits am Tag nach der OP. Es gibt Apparaturen und Verfahren, die das ermöglichen, die so teuer sind, dass sie sich nicht alle Kliniken leisten können.

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Gegenwärtig werden in Deutschland zu viele stationäre Untersuchungen und Behandlungen durchgeführt, von denen die Menschen nicht profitieren. Die Kampagne „choosing wisely“ („klug entscheiden“) versucht, gegen Widerstände eine sinnbasierte Medizin umzusetzen, und die evidenzbasierte in den Leitlinien verankerte Medizin zu relativieren, die bei älteren, multimorbiden Patienten oft nicht anwendbar ist.

Wie reagieren andere Länder auf die Herausforderungen und den Fortschritt? In Dänemark wurden seit 2007 reihenweise Krankenhäuser geschlossen. Neben der intensivierten Notfallversorgung sorgen sich Pflegekräfte in Gesundheitszentren um die Nöte der Bevölkerung und kümmern sich um die Wundversorgung, die regelmäßige Medikamenteneinnahme und Dinge, die keine Ärzte erfordern.

Große Kliniken mit modernster Technologie sind nahe an Autobahnen entstanden, so dass sie schnell erreichbar sind. Kostenvolumen: 5,5 Milliarden Euro. Auf Deutschland hochgerechnet wären das 80 Milliarden Euro, um kleine Einrichtungen zu schließen und sich auf große existierende zu konzentrieren und diese personell und bautechnisch besser auszustatten.

So viele Krankenhäuser, so geringe Lebenserwartung

In NRW mit seinen 18 Millionen Einwohnern befinden sich dreimal mehr Krankenhäuser als in den gleich großen Niederlanden. In Schleswig-Holstein gibt es viermal mehr Krankenhäuser als im gleichgroßen Dänemark. Geht es den Menschen in Dänemark und in Holland schlechter? Im Gegenteil. Die Behandlungsqualität von Brustkrebs und Herzinfarkten in Deutschland ist bei uns nicht mehr als durchschnittlich. Die Lebenserwartung der Deutschen ist unter den Westeuropäern auf dem letzten Platz.

Wenn also dem Pflegenotstand (und dem Ärztemangel) begegnet werden soll, wenn Menschen besser und schneller kompetent und menschenwürdig behandelt werden wollen, führt an Krankenhausschließungen in größerem Umfang kein Weg vorbei. Das ist ein Prozess, der sich über zwei Jahrzehnte erstrecken wird, doch er muss jetzt begonnen werden, weil die Demographie auf der einen Seite, aber auch der medizinische Fortschritt diese Entscheidungen fordern. In Zeiten einer Pandemie kann auf Ersatzkrankenhausbetten in Rehabilitationskliniken zurückgegriffen werden, wie es sich jetzt in der Corona-Krise hier und da bewährt hat.

Andreas Lübbe

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