Stationäre Versorgung

Debatte: Klinikqualität im Blick behalten

Die Diskussion um Mindestmengen, Spezialisierung oder Bettenabbau ist in Corona-Zeiten fast verstummt. Doch die Krankenhaus-Qualität darf nicht zum Opfer von Covid-19 werden, meint Versorgungsforscher Prof. Dr. Reinhard Busse.

Gerade hatte die Diskussion

um Krankenhäuser und Versorgungsqualität die Öffentlichkeit und die Politik erreicht. Die Einsicht in die Zusammenhänge wuchs: Die 500 Krankenhäuser ohne Koronarangiographie-Einheit können Patienten mit Herzinfarkt nicht angemessen versorgen; eine Stroke Unit verbessert das Überleben bei Schlaganfall signifikant; in den über 300 Krankenhäusern mit jährlich durchschnittlich drei hochkomplexen Operationen bei Bauchspeicheldrüsenkrebs sterben doppelt so viele Patienten daran wie in den knapp 60 Häusern mit über 20 Fällen; Kreißsäle ohne angeschlossene Neonatologie sind bei Komplikationen für Neugeborene mit unnötigen Risiken verbunden.

Das Verständnis dafür stieg, dass nur Krankenhäuser mit entsprechender struktureller, personeller und technischer Ausstattung und Erfahrung bestimmte Leistungen erbringen dürfen. Auch das Verständnis dafür, dass bestimmte Höchstzahlen von Patienten pro Pflegekraft sinnvoll sind, ebenso aber eine Konzentration auf behandlungsbedürftige Patienten nicht nur die Zahl der im Krankenhaus erworbenen Infektionen verringert, sondern insgesamt zu besseren Ergebnissen führt. Kaum fingen diese Einsichten an, sich zu verbreiten, da beendete Covid-19 schlagartig die Diskussion.

Die Krise offenbart Schwächen.

Plötzlich scheinen Kliniken wieder primär aus Betten zu bestehen, von denen man möglichst viele in möglichst vielen Krankenhäusern braucht. Jedes Krankenhaus scheint wieder gleich gute Versorgung zu leisten und Pflegepersonaluntergrenzen können abgeschafft werden.

Wer für die Behandlung eines Patienten gar nicht qualifiziert ist, sollte kein Geld erhalten.

Die Diskussion um Krankenhaus-Qualität droht damit um Jahre zurückgeworfen zu werden, gegebenenfalls sogar zum Opfer von Covid-19 zu werden. Das wäre umso ärgerlicher, als die Corona-Krise bestimmte Schwächen unseres Krankenhaussystems offenbart hat: So hat die Politik Krankenhäuser als im Wettbewerb miteinander befindliche Institutionen betrachtet, die im Prinzip selbst bestimmen können, welche Leistungen sie erbringen (und wie viele Schutzmasken sie auf Vorrat kaufen) und nicht als Krankenhaussystem. Besonders augenfällig war dies, wenn das Kartellamt Fusionen zwischen Krankenhäusern untersagt hat, die dem Wohle des Patienten durch bessere Abstimmung, wer was macht, gedient hätten, ihm aber weniger Wahl gelassen hätten. In der Krise wurde klar, dass Kooperation und Koordination nicht nur erlaubt sein sollten, sondern notwendig sind.

Von der Bevölkerung her denken.

Damit zeichnet sich ab, was nach der Krise anzugehen ist: Krankenhausversorgung und ihre Qualität muss von der Bevölkerung her gedacht werden. Wir wissen, dass wir pro Tag 500 Menschen mit Herzinfarkt und pro Woche knapp 1.400 neu an Brustkrebs erkrankte Frauen zu behandeln haben. Ein Herzkatheter-Labor mit rund um die Uhr anwesenden Kardiologen braucht eine bestimmte Anzahl an Patienten – genau wie ein Brustkrebszentrum. Wenn ein solches Zentrum 150 Fälle pro Jahr versorgen soll, muss es ein Einzugsgebiet von 180.000 Einwohnern haben.

Technische und personelle Vorgaben sowie Mindestmengen sind eine wesentliche Voraussetzung für Qualität. Sie sollten nicht nur verpflichtend vorgegeben sein, sondern jeder Bürger muss auch erfahren, ob das jeweilige Krankenhaus die Vorgaben einhält. Zudem sollten weitergehende Qualitätsindikatoren zur Prozess- und Ergebnisqualität gesammelt und veröffentlicht werden – und zwar nicht, weil sich Patienten das vermeintlich beste Krankenhaus aussuchen sollen, sondern um Krankenhäuser zu einer kontinuierlichen Qualitätsverbesserung zu animieren. Die Schulleistungsstudie PISA hat ja auch nicht zum Ziel, den Eltern die Wahl einer Schule für ihre Kinder zu erleichtern, sondern soll helfen, die Schulen insgesamt zu verbessern. Wenn wir das mit der Qualitätsmessung und -transparenz im Gesundheitssystem auch so sehen, hätten wir eine richtige Lehre gezogen.

Das Vergütungssystem anpassen.

Und ja, auch unser Vergütungssystem muss angepasst werden: So sollte kein Geld erhalten, wer für die Behandlung eines Patienten gar nicht qualifiziert ist – also etwa ein Krankenhaus ohne Stroke Unit für einen Schlaganfall-Patienten. Dann kann man auch über Zuschläge für besonders gute Qualität nachdenken, etwa wenn überdurchschnittlich viele Patienten nach einer Hüft-Operation wieder schmerzlos laufen können. Das dürfte auch die oft zu beobachtenden Indikationsausweitungen begrenzen. Und wenn die Qualitätszuschläge transparent gemacht werden, dienen sie selbstverstärkend als weiteres Qualitätssignal.

Reinhard Busse ist Professor für Management im Gesundheitswesen an der Fakultät Wirtschaft und Management der Technischen Universität Berlin.
Bildnachweis: Foto Startseite: iStock.com/FatCamera