Lehren für den Corona-Winter

Genug Material, zu wenig Personal

15:34 Minuten
Ein Intensivbett mit Beatmungseinheit steht auf der Corona-Station im Städtischen Klinikum Dresden für schwer erkrankte COVID-19-Patienten bereit.
Viel Geld hat Deutschland in der ersten Phase der Pandemie ausgegeben - nicht immer sinnvoll, sagen Kritiker. © picture alliance/dpa/Robert Michael
Von Andre Zantow · 26.10.2020
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Die Corona-Infektionszahlen sind in Deutschland doppelt so hoch wie beim Lockdown im März. Trotzdem läuft vorerst vieles weiter. Verantwortliche haben aus Fehlern gelernt, aber es bleiben Versäumnisse wie bei den Gesundheitsämtern.
Direkt an der Autobahn liegt Berlins Messegelände. Kein Betrieb herrscht hier momentan – genauso wenig wie im sogenannten Corona-Krankenhaus. Hier untergebracht in Halle 26. Im Frühjahr wurde es aufgebaut – für mehr als 30 Millionen Euro. 500 Patienten können hier intensivmedizinische betreut werden. Bisher wurde kein einziger hier behandelt. Entsprechend gibt es Kritik an dieser großen Investition des Senats.
"Das Corona-Krankenhaus auf dem Messegelände war von vornherein eigentlich nicht gut überlegt. Wir sind ja in Deutschland, wir sind das Land in Europa mit den meisten Krankenhausbetten. Und wer sich das mal ausrechnet: Wir haben sechs Betten pro 1000 Einwohner, das kann man auf Berlin hochrechnen, da haben wir über 20.000 Krankenhausbetten."
Reinhard Busse, Gesundheitsökonom, dazu Humanmediziner und Epidemiologe. Der 57-Jährige schaut aus vielen Fachrichtungen auf die Corona-Pandemie. Als Professor für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin hat er schon im Frühjahr den teuren Impuls des Berliner Senats kritisiert.
"Zum Teil ist das so ein bisschen Aktionismus, dass man mit dem Covid-Krankenhaus zeigen will, dass man sich kümmert. Und natürlich haben wir ja gesehen, aber das waren Länder mit einer anderen Bettendichte, dass sie im chinesischen Wuhan diese zwei Krankenhäuser gebaut haben. Und ich schätze, so ist die Idee entstanden und die deutschen Verhältnisse zu berücksichtigen."
Die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit antwortet dazu per E-Mail:
"Bis jetzt ist mit Kosten für das Corona-Behandlungszentrum von etwas über 30 Millionen Euro zu rechnen. Hinzu kommen rund 25 Millionen Euro für die medizinische Ausstattung. Mehr als 90 Prozent der Materialien sind wiederverwertbar. Es befindet sich derzeit in einer Stand-by-Phase und kann bei Bedarf genutzt werden."

Teures Unwissen über die Anzahl der Beatmungsgeräte

Neben dem Berliner Senat hat auch die Bundesregierung für den Katastrophenfall kräftig investiert. So kaufte Gesundheitsminister Jens Spahn im Frühjahr zum Beispiel 26.000 Beatmungsgeräte, von denen er inzwischen die allermeisten wieder abbestellen musste oder ins Ausland verschenkte, weil Deutschland genug hatte, was keiner wusste:
"Es war keinem so richtig klar, wie viele Beatmungsgeräte wir entweder auf den Intensivstationen schon haben oder wie viele Beatmungsgeräte wir durch das Runterfahren der geplanten Operationen umorganisieren konnten auf die Intensivstationen. Es gibt Länder – ich weiß von Dänemark – da haben alle Beatmungsgeräte einen RFID-Code und die können auf Knopfdruck sehen, nicht nur wie viele Beatmungsgeräte sie haben, sondern auch wo die sich befinden."
Ein transparentes Material-Verzeichnis gibt es in Deutschland inzwischen immerhin für Intensivbetten. Das neue DIVI-Register zeigt für jeden an: Heute werden 1.296 Menschen wegen Covid-19 auf Intensivstationen behandelt – 8386 Betten sind bundesweit noch frei. Einen Mangel gibt es laut Gesundheitsökonom Busse eher beim Personal – zum Beispiel bei Intensiv-Pflegern oder in der Nachverfolgung von Neuinfektionen durch die 400 Gesundheitsämter.
"Auf jeden Fall. Die Gesundheitsämter sind ja lange Zeit in Vergessenheit gewesen. Das ist ein spezifischer Bereich des Gesundheitswesens, den wir auf jeden Fall stärken müssen!"

Gesundheitsämter brauchen Personal

Das Gesundheitsamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Zwei Soldaten sind gerade herausgekommen. Ob sie auch unterstützen bei der Nachverfolgung von Corona-Fällen? "Ja, wir sind hier und helfen." Es seien "deutlich mehr" als die beiden, aber zur genauen Anzahl und wie es läuft, wollen sie nichts sagen.
Insgesamt sind es 460 Soldaten, die jetzt in der Hauptstadtregion die überlasteten Gesundheitsämter unterstützen. Man brauche einfach 80 bis 100 Mitarbeiter zur Kontaktverfolgung pro Bezirk, forderte die Linkspolitikerin Katina Schubert kürzlich im Tagesspiegel. Charlottenburg-Wilmersdorf hat nur ein Viertel dieser Vollzeitstellen.
Auch Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, beklagt im Deutschlandfunk-Interview die fehlenden Stellen:
"Die Gesundheitsämter waren schon vor der Pandemie sehr schlecht aufgestellt. Das hat sich in der Pandemie auch nur zweitweise geändert durch Hilfskräfte, die zur Unterstützung in die Gesundheitsämter gekommen sind. Vielleicht hat man unterschätzt, dass die Zahlen so schnell wieder ansteigen. Aber auch das ist vorhergesagt worden. Wir haben immer gesagt, ab Mitte Oktober steigen die Zahlen an."
Ärzte-Verbandschefin Teichert fordert auch eine schnelle Digitalisierung der Gesundheitsämter, um Zeit zu sparen und mit der Zettelwirtschaft aufzuhören.

Hohe Infektionszahlen bei 14- bis 40-Jährigen

Dabei wurden doch Milliarden ausgegeben im Kampf gegen die Pandemie – zum Beispiel für das Freihalten von Betten. Wurde das Geld falsch investiert? Droht deshalb bald ein neuer Lockdown?
Aus seiner medizinischen Sicht nicht, beruhigt Klaus Reinhardt – Präsident der Bundesärztekammer:
"Das, was wir aktuell beobachten können, ist eine Zunahme der Infektionszahlen im Wesentlichen der Altersgruppe der 15- bis 40-Jährigen. Und das sind diejenigen, von denen wir wissen, dass sie die Erkrankung in den absolut allermeisten Fällen, bis auf ganz seltene Ausnahmen, gut überstehen. Also das ist an sich kein wirkliches Gefährdungspotenzial."
Klaus Reinhardt arbeitet nicht nur als berufspolitische Vertretung der Ärzte, montags kümmert er sich auch als Hausarzt in Bielefeld um seine Patienten – besonders bei den Älteren müsse eine Ansteckung verhindert werden:
"Das bedeutet, dass man zum Beispiel in Altenwohnheimen und Betreuungseinrichtungen Menschen, die dort zu Besuch kommen zum Beispiel mit einem Schnelltest testet. Und FFP2-Masken nutzt. Da lassen sich soziale Kontakte leben und es muss keine Isolation sein. Kernproblem besteht natürlich darin, dass es auch ältere Menschen gibt, die nicht so leben und wohnen. Sondern sich frei in der Bevölkerung bewegen. Die müssen definitiv die Abstandsregeln, das Zusammenkommen mit vielen und das Tragen von FFP2-Masken – nicht Alltagsmasken, die sind unwirksam in dem Kontext, beachten."
Reinhardt plädiert dafür, Älteren auf Rezept kostenlos hochwirksame FFP-2-Masken zu verschreiben. Außerdem müsse die Corona-Warn-App stärker beworben werden, damit viel mehr Leute mitmachen und ihre Testergebnisse eintragen. Und es brauche immer wieder Aufklärung, nur so komme es zu Einsicht und Verhaltensänderung.
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