Corona-Pandemie:Meistens nicht so schlimm

Corona-Pandemie: Die Notaufnahme der barmherzigen Brüder nimmt wieder den Regelbetrieb auf. Hier eine Blutabnahme.

Die Notaufnahme der barmherzigen Brüder nimmt wieder den Regelbetrieb auf. Hier eine Blutabnahme.

(Foto: Catherina Hess)

Während der Corona-Krise gingen weniger Menschen ins Krankenhaus. Wie dramatisch waren die Auswirkungen für diese Nicht-Covid-19-Patienten? Eine aktuelle Analyse gibt Entwarnung.

Von Christina Berndt

Die Patienten bleiben weg! Im Frühjahr warnten viele Fachgesellschaften, selbst Menschen mit schweren Leiden gingen nicht mehr zum Arzt. Onkologen fürchteten um Krebspatienten, Kardiologinnen sorgten sich, dass Herzinfarkte unbehandelt bleiben würden. Könnte die Angst vor Covid-19 am Ende zu mehr Toten führen als das Coronavirus selbst?

Reinhard Busse möchte die Mediziner und ihre Patienten jetzt beruhigen. Der Gesundheitssystemforscher von der TU Berlin hat gemeinsam mit anderen Experten im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums die Abrechnungsdaten von Krankenhäusern ausgewertet. Ziel der Analyse war es ursprünglich, die Auswirkungen des Krankenhausentlastungsgesetzes zu untersuchen, das Kliniken während der Pandemie unterstützen soll. Doch Busse nutzte die Gelegenheit, auch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Nicht-Covid-19-Patienten zu analysieren.

Es sind nicht mehr Menschen an anderen Ursachen als Covid-19 gestorben als in den Jahren zuvor

Demnach wurden zwischen Januar und Mai 2020 um 15 Prozent weniger Menschen in deutschen Krankenhäusern behandelt als im Durchschnitt der beiden Vorjahre - nämlich 6,9 Millionen statt 8,1 Millionen. Auf dem bisherigen Höhepunkt der Pandemie zwischen Mitte März und Ende Mai waren es sogar 30 Prozent weniger.

Doch es gingen vor allem die Behandlungen bei Patienten mit weniger dringenden und schweren Leiden zurück: "Bei praktisch allen Diagnosen, bei denen die Daten eine Einteilung in "dringend", "weniger dringend" oder "vermeidbar" erlauben, war der Rückgang bei der ersten Kategorie wesentlich weniger ausgeprägt als bei den beiden letzteren", sagt Busse.

Praktisch gar nicht sank die Zahl der Geburten. Offenbar hatte sich kaum eine werdende Mutter dazu entschieden, wegen Corona zu Hause zu gebären. Auch die Zahl der im Krankenhaus behandelten Krebspatienten sank nur wenig. Beim Darmkrebs ging sie um neun Prozent zurück, beim Brustkrebs um vier Prozent und beim Speiseröhrenkrebs um zwei Prozent.

Beim gefährlichen Pankreaskarzinom hingegen wuchs die Zahl der Behandlungen sogar um zwei Prozent an. Die Zahl der Patienten mit Schlaganfall sank um sechs Prozent und die der Herzinfarkte um elf Prozent. Allerdings betraf dies vor allem die weniger gefährlichen Infarkte sowie solche, die Patienten selbst gar nicht merken und erst im Labor festgestellt werden.

Den stärksten Rückgang gab es bei Menschen mit HIV - wahrscheinlich, weil diesemit einem geschwächten Immunsystem tatsächlich das Krankenhaus als möglichen Infektionsort scheuen. Auch Operationen, die ohne negative gesundheitliche Folgen aufgeschoben werden konnten, fanden deutlich seltener statt - etwa die Implantation von Hüft- oder Knieprothesen. Ihre Zahl sank jeweils um rund 20 Prozent.

Die im Vergleich zu dem Alarm vom Frühjahr eher moderaten Rückgänge stehen Busse zufolge im Einklang mit der Todesfallstatistik. Es seien jedenfalls nicht mehr Patienten an anderen Ursachen als Covid-19 gestorben als in den Jahren zuvor, sagt der Arzt und Gesundheitsökonom. "Für die zehn Kalenderwochen zwischen dem 23. März und dem 31. Mai lag die Übersterblichkeit 2020 gegenüber dem Schnitt der vier Vorjahre bei insgesamt 8850 Personen", heißt es in dem Bericht. "Dies entspricht ziemlich genau der Zahl der an COVID-19 verstorbenen 8511 Personen."

Die insgesamt weniger Patienten wurden mit mehr Sorgfalt behandelt

Das lässt sich so erklären: In einem Land, in dem Patienten tendenziell zu häufig im Krankenhaus behandelt werden und zu häufig Ärzte aufsuchen, muss ein Rückgang der Behandlungen nicht unbedingt schaden. "Wir haben eineinhalb Mal so viele stationäre Behandlungsfälle wie in anderen Ländern", sagt Busse. 30 Prozent weniger wäre demnach immer noch ein Plus im europäischen Vergleich.

Aber selbst in der Behandlung von Krebspatienten wird in Deutschland oft zu viel getan. Im Durchschnitt liegen Tumorpatienten hierzulande viermal im Krankenhaus, im Ausland nur zweimal. Selbst wenn in der Covid-Zeit zehn Prozent weniger Tumorbehandlungen im Krankenhaus stattfanden, sind es demnach immer noch erheblich mehr als im Ausland.

Der Rückgang bedeutet also nicht, dass Patienten mit akut behandlungsbedürftigen Diagnosen keine Behandlung bekommen haben - auch wenn dies im Einzelfall geschehen sein mag. "Es wäre vielmehr zu erwarten, dass in der betrachteten Periode weniger potenziell vermeidbare stationäre Behandlungen stattgefunden haben", sagt Busse.

Im Übrigen gab es auch positive Effekte des Patientenrückgangs: So ist die Zahl der Patienten mit Blutvergiftung auf dem Höhepunkt der Pandemie um rund 30 bis 40 Prozent zurückgegangen. "Hier zeigt sich wahrscheinlich der Effekt, dass man Händewaschen jetzt wieder richtig ernst nimmt", sagt Busse. Hinzu kommt, dass insgesamt weniger Patienten mit mehr Sorgfalt behandelt wurden.

Die Pandemie hat somit gewiss für einzelne Nicht-Corona-Patienten negative Auswirkungen - etwa wenn sich Menschen mit einem Herzinfarkt tatsächlich nicht in die Klinik trauen. Aber für viele Nicht-Covid-Patienten dürfte sie auch positiv sein - sowohl für die Behandelten, für die mehr Personal und mehr Zeit da ist, als auch für die Nichtbehandelten. Schließlich ist nicht jeder Krankenhausaufenthalt ein Gewinn für die Gesundheit.

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